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Veröffentlicht am 08­.10.2025

Prof. Dr. Dietmar Mieth

Vom synodalen Prozess zur synodalen Struktur der Kirche.


Gedankensplitter zu: 30 Jahre Wir sind Kirche
1. Teil: Der Heilige Geist als Anwalt der Communio in der Kirche
Der göttliche Geist wirkt zumindest bei Paulus durch Kommunikation und Koordination. Er ist ein Geist der Gemeinschaft, der gläubigen Gesellschaft. Er ist in der Mitte und er wirkt darin: eine Art Demokratie von innen. Verträgt er sich mit Gesetzen, die aus vertikaler Machtausübung entstehen? Vielleicht, indem er diese behutsam umdefiniert.
Der Heilige Geist wird außerhalb des Pfingstfestes in der Kirche und von der Kirche nur sparsam erwähnt. Freilich wird angenommen, dass Kirchenversammlungen auf ihn achten und sich von ihm leiten lassen sollen. Die apostolische Erzählung von der Aussendung der Boten Jesu durch den Heiligen Geist, die Betonung der Freiheit im Geist bei Paulus – all dies lässt sich mit der Entstehung des Neuen Testamentes vergleichen: es dauerte nicht Jahre sondern Jahrhunderte, ehe sich im Geist der Kirchenväter und in Synoden der Kanon der anerkannten Schriften bildete. Damit hatten wir ein „Neues Testament“, ein Produkt der Kirchenlehrer. Vom Glauben ist auszugehen: sowohl das Produkt als auch die Heiligen Versammlungen, die es garantierten, seien im Heiligen Geist entstanden. (Vgl. dazu: Markus Vinzent, Die Entstehung des Christentums im 2. Jahrhundert. Freiburg-Basel-Wien 2019)
Über Jesus, den Christus, wird viel nachgedacht. Baustein, Eckstein der Kirche, Kosmischer Christus. (vgl. zuletzt Leonardo Boff, Publik Forum, 4.8.2023, S. 15. Vgl. auch Teilhard de Chardin, Le milieu divin, 1960). Verdeckt die „Christologie“ die „Zeit des Heiligen Geistes“? Im Mittelalter begann man mit Joachim von Fiore und den von ihm beeinflussten Franziskanischen „Spiritualen“ – Petrus Johannes Olivi, Ubertino di Casale – diese Zeit mit der strengen Variante der Armutsbewegung gleichzusetzen. Für eine kurze Zeit war im Volke Gottes mehr vom Geist die Rede, als dies die Oberen in den hierarchischen Etagen zulassen wollten: Im 13. Jahrhundert bildete sich die Bewegung „Brüder und Schwestern des Geistes“ innerhalb und außerhalb des Franziskanerordens. Die Aufnahmen in die Orden wurden zu dieser Zeit geschlossen. Interessenten, die keine Aufnahme fanden, wurden verfolgt, denn in ihrer bunten Bewegung gab es zwei problematische „Dogmen“: (1) das apokalyptische Dogma, das in der bestehenden Kirche mit der Apokalypse ein neues „Babylon“ sah - und (2) das gleich-schaltende Dogma, das jede theologische und moralische Führung verwarf.
„Ecclesia“ – vgl. im Französischen „Église“ - ist eine Benennung von Kirche nach der Versammlung am offenen Ort, dem römischen Markt entsprechend - nicht wie heute „Kirche“ im Deutschen und Englischen nach „kyriake“ –zum Kyrios/Herrscher gehörig. Letzteres ist theologisch als Bezug zum „Herrn“ Jesus Christus zutreffend, aber es wurde dann in eine entsprechende säkulare Form verwandelt, nicht ohne Einfluss auf das gesalbte Königtum oder auf das Papstamt. Ecclesia übernimmt die Bezeichnung als Variante aus den Volks-Versammlungsorten bzw. Zusammenkünften und bezeichnet damit auch die Versammlung der Gläubigen selbst, ohne sie sogleich zu hierarchisieren.
Der Geist Gottes wirkt durch Kooperation und Kommunikation. Der Geist ist ein Anwalt der allgemeinen Beteiligung, d.h. hier: am Mitwirken und Mitbestimmen aller Kirchenglieder an den sie betreffenden Fragen und entsprechenden Entscheidungen. Es ist zwar lange her, dass Bischöfe und Päpste vom Volk gewählt wurden, aber es war eine Praxis über Jahrhunderte. Es dürfte schwer sein, gegen eine Rückkehr zu solchen Verfahren einen biblischen Einwand zu formulieren.
Die Einwände sind anderer Art. Die Kirche wandelte sich und kontrollierte durch ihre „Kirchenväter“ die schriftliche Entfaltung des Neuen Testaments – wie nur schlecht Informierte oder gegen theologisches Denken absolut Verhärtete bestreiten wollen. Sie handhabte die apostolische Sukzession als geistliche Erblichkeit in Analogie zum Ständestaat und zur Königssouveränität. Katholisch kann man dazu sagen: Es muss ja nicht alles sein wie in der Bibel – aber glaubensverträglich mit der Schrift sollte es sein.
Der Geist Gottes ist „Vermittler aller Zeiten“, d.h. er bestimmt in diesem Sinne die „Zeichen der Zeit“, sortiert und überschreitet sie in Richtung auf Zukunft. – Es ist kein Wunder, dass Josef Ratzinger in seinem Kommentar des letzten Konzils, das er als junger „Peritus“ beraten durfte, sich besonders kritisch über die positive Aufnahme der „Zeichen der Zeit“ äußert (LThK – Kommentar) , er sah säkulare Anpassungen als Gefahr. Andererseits wurde im Konzil die Festlegung aller Zeiten auf eine Zeit der kirchlichen Selbst-Verfestigung als Bastion in Frage gestellt. Aber: hatte nicht Hans Urs von Balthasar einmal einen Artikel über „Die Schleifung des Bastionen“ geschrieben?
Die Dogmatik der Kirche gesteht zu, dass der Geist mit Taufe und Firmung in alle Gläubigen hinein reicht. Oder sollte man sagen: bis zu den Gläubigen hinunter reicht? Die konziliare Dogmatik spricht von der Kirche- bis in das 2. Vaticanum hinein – als „communio“. Gern wird diese Bezeichnung von Theologen und Theologinnen aufgegriffen. Denn sie enthält kommunikative Möglichkeiten und strukturelle Anforderungen. Aber eine kirchenrechtlich ausformulierte Reduktion von „Ecclesia“ verhindert, dass der Geist durch die Gläubigen hindurch in der Versammlung der Gläubigen, wirken kann. So wird der Geist zu einer Art Trichter, der von Oben begossen wird, statt zu einer Sammlung der Inspiration der Versammelten. Inspiration der Versammelten ist nicht in evangelikaler Manier oder durch ein Charisma in eine Art Eingebungs- Tyrannei zu verwandeln. Das kann m.E. nicht die Alternative sein. Es braucht klare und verlässliche Rechts-Strukturen.
Zusammenfassung: In der „ecclesia“ wirkt also der Geist Gottes durch Kooperation und Kommunikation. Der Geist ist ein Anwalt des Konsenses, der durch das  Mitwirken und Mitbestimmen aller Kirchenglieder an den sie betreffenden Fragen und entsprechenden Entscheidungen entstanden und gesichert ist. Nun ist es zwar lange her, dass Bischöfe und Päpste vom Volk gewählt wurden, aber es dürfte schwer sein, gegen eine Rückkehr zu solchen Verfahren einen biblischen Einwand zu formulieren. Die Einwände sind anderer Art. Die Kirche wandelte sich und kontrollierte die Bibel - wie alle wissen und nur gegen theologisches Denken Verhärtete bestreiten wollen - sie handhabte die apostolische Sukzession in Analogie zum Ständestaat und zur Königssouveränität.
Nicht der Geist sondern Christus hat in der katholischen Kirche ein Königsfest. Aber ist nicht der Geist Gottes der „Vermittler aller Zeiten“, d.h. er bestimmt in diesem Sinne die „Zeichen der Zeit“, sortiert und überschreitet sie in Richtung auf Zukunft? – Es ist kein Wunder, dass Josef Ratzinger in seinem Kommentar des letzten Konzils, das er als junger „Peritus“ beraten durfte, sich besonders kritisch über die positive Aufnahme der „Zeichen der Zeit“ äußert, er sah nur Anpassungen und damit Gefahren für Festlegung aller Zeiten auf eine Zeit der kirchliche Selbst-Verfestigung als Bastion. Aber: hatte nicht selbst Hans Urs von Balthasar einmal einen Artikel über „Die Schleifung des Bastionen“ geschrieben?
2.Teil: Wege zur Erneuerung - Gedankensplitter
Ein ferner Spiegel: die Geschichte - Da wir immer nur das Wenige aus der Geschichte wissen, in das die Mächtigen ihre Interessen eingefügt haben, ist bei jeder Verketzerung ein großer Anteil der Selbstlegitimierung durch die Inquisition und ihre gewalttätigen Mittel zu vermuten.
Über das in der Geist-Bewegung gern gebrauchte Pauluszitat – „wo der Geist ist, da ist Freiheit“ (1 Thess. 3,17) wurde in der Inquisition nur belächelt, denn die Freiheit des Geistes schwächte sich nach Meinung der Kleruskirche von oben nach unten ab. Als „Prophetie“, also als folgenloser Traum bei frommen Visionärinnen konnte man sie gern zulassen, denn solche Träume erfrischten das Gemüt und förderten emotionale Bindungen. Am besten ließ man sie zu, indem man sie durch die geistlichen Seelenführer begleiten und durch die Inquisition überwachen ließ: dabei entstand die gefilterte Süße der Frauenmystik. Das bekannte Beispiel ist die poetisch und visionär begabte Begine Mechthild von Magdeburg. Sie konnte auch die „Prälaten“ moralisch kritisieren. Leitungskompetenz war davon nicht abhängig.
Geschichtliche Lernprozesse: zum Beispiel Päpstliche Bullen zurücknehmen? Kolonialismus (Alexander VI) – Bannbulle gegen Luther (Leo IX)?
Wir sind Kirche – ein spätmittelalterlicher Ruf nach einer „größeren Kirche“
Mitten in diesem Überwachungssystem berief sich die Begine Marguerite Porete (ca. 1260-1310) auf den Geist. Sie sah ihn am Werk in der „Église la grande“ in der großen kommenden Kirche. Die institutionalisierte und hierarchisierte Kleruskirche sah sie als „Église la petite“, als die kleine Kirche, in welcher sie immerhin selbst als „clergesse“ bezeichnet wurde – vermutlich ein Titel für eine Lehrerin der Kinder des Patriziates. „Clergesse“ und „Begine“ nannte man sie anlässlich ihrer Verbrennung als Ketzerin (am 1. Juni 1310 auf der „Place de Grève“, dem heutigen Rathausplatz in Paris). Nachweislich ein Justizmord der Inquisition.
Der Geist als „communio“
Ohne „cooperatio“ und „ communicatio“ aller, d.h. mit der Bewahrung einer ständigen vertikalen Bevormundung, fehlt es der Kirchenführung an „Geist“. Bisher gelingt es nicht, manche Geistblockaden in einem „synodalen Prozess“ zu überwinden. „Prozess“ ist gut, „Synode“ ist gut. Die bischöflichen Synoden der 1970er und 1980er Jahre blieben freilich römisch unbeantwortet. Die kirchlichen Bastionen schluckten die Eingaben. Schon einmal hatte die „communio“ in diesen Synoden nach dem 2. Vatikanischen Konzil eine Chance. Sie wurde unterdrückt und verpasst.
Nun hat Rom sich diese Chance, um Jahrzehnte verspätet, wieder aufgegriffen. „Ein synodaler Prozess“. Die Kombination von „Prozess“ und „Synode“ scheint ein durchaus offenes, scheinbar fließendes Verfahren anzubieten: Aber leider ist es so, wie man es in einem Bild beschreiben kann: wenige harte Stolpersteine, die nicht mit fließen wollen oder können, genügen. Je schneller das Wasser fließt, umso flacher wird es und umso mehr ragen diese Steine hervor. Widerstand staut das Wasser, die Steine werden überflossen.
Die Stunde der Laien
„Laien“ sind in der kirchlichen Tradition weder Dilletanten noch inkompetent. „Laie“ – Laos ist die ursprüngliche griechische Bezeichnung für „Christsein“ im Sinne der Mitgliedschaft zur „ecclesia“, der Gemeindeversammlung der Christen.
Bruder Franziskus, der revolutionäre Vertreter der Nachfolge des armen Jesus wollte nicht Priester werden. Schließlich überredete man ihn zum Diakonat. Die Kirche hatte sich bereits an die weltlichen Hierarchien angepasst.“Diözese“ ist ein Begriff der kaiserlich-römischen Amtsverwaltung. Inzwischen sind die meisten theologisch ausgebildeten Menschen bei uns „Laien“ im Sinn von „Nicht-Priester“ Frauen und Männer. Damit ist deutlich, wer diese theologische Kompetenz in unserer Kirche trägt und prägt. Ohne die Laien in den Theologischen Fakultäten verschwinden diese Fakultäten aus den Universitäten.
Sexualität, Spiritualität und Missbrauch - Je mehr Spiritualität mit geistlicher Autorität in die individuelle Sphäre der Sexualität eindringt, je mehr spirituelle Intimität und Selbstauslieferung in einen Zusammenhang geraten, umso näher liegt der Weg zum Missbrauch.
Ein transparenter Käfig, aber mit Gitterstäben - Im synodalen Prozess der deutschen Kirche hat man den Eindruck: da sitzen die führenden klerikalen Hierarchen in ihrem besonderen Käfig und wissen nicht, wie sie da wieder heraus kommen. Thomas Halik: Säße Jesus in diesem vergitterten Raum. Er wollte dringend hinaus. Warum wollen diejenigen, die nicht in diesem Käfig hinter Gittern sitzen, dort hinein – das ist mir nicht klar. Sie rütteln an der Gittertür, die zugleich von der anderen Seite zugehalten wird. Oft wird sie nicht zugehalten, um niemand hereinzulassen, sondern aus Angst, das wunderbare römische Schloss an der Tür würde dauerhaft zerstört. Der Käfig ist hoch aufgehängt. Er bräuchte ein Downsizing: alle sollten mal andere Luft atmen. Könnten Bischöfe nicht wie Augustinus sagen: ich bin mit euch Christ, also Laie? Laien bleiben Christ und Christin, auch wenn ihnen ein Amt zugewiesen wird. Der letzte Papst nannte sich Franziskus, bedachte er, dass Franziskus kein Priester sein wollte? Es ist Zeit, vom erwartungsvollen Schlaf, der von einer Bekehrung des klerikalen Systems träumt, aufzustehen.
Muss man/frau an der Tür des Käfigs rütteln, um da hinein zu kommen. Wäre es nicht besser zu rufen: kommt alle mal da heraus, denkt alle: erst Christsein, dann Kirche. Hört auf, euch vom „Herrentum“ her zu verstehen, das aus dem griechischen Wort für „Kirche“, Kyriake, angeleitet ist aber eben nicht von anderen „Herren“, außer Christus selbst, spricht. Eine Bevormundung Gottes ist ein Missbrauch des „Kyrios“? Der Käfig geht in den Fluten der berechtigten Kritik unter. Es reicht nicht mehr, die Tücher bzw. die Filzmatten, die keine Luft hineinlassen, nur abzuhängen. Warum wählt das Volk die Bischöfe nicht mehr? Das kennt man doch aus der Martinus-Geschichte. Das Volk sucht Martin, und die Gänse haben ihn verraten, als er sich verbergen wollte. Das Volk – populus Dei, ecclesia Dei gestaltet inzwischen auch seine Versammlungen und Feiern selbst: beten, Feiern, Segnen, Brücken ins Leben schlagen?
Reziprokes Verständnis - Die Partizipation an der Eucharistie ist reziprok zu verstehen. „Eine Feier der Eucharistie ohne den Dienst des Priesters (ist) eine Unmöglichkeit“. (Walter Kasper) Ohne Partizipation der Gemeinde ist sie aber auch eine Unmöglichkeit. Warum ist die Eucharistiefeier in einer möglichen Schwundstufe? Bedarf es hier nicht neuer Weisen der Reziprozität? Ein offeneres Zusammenwirken? Zum Beispiel bei den gemeinsamen Worten der Konsekration? Gesucht ist ein neues Zusammenwirken der Charismen. Die Eucharistiefeier ist auch ein gemeinsames Wortgeschehen: „communicatio divinae vitae“. Darum muss man am „officium“ nichts ändern, jedoch an seiner exklusiven Deutung, denn diese ist weder biblisch, noch durch Tradition, noch systematisch-theologisch gesichert.
Statt spiritueller Entweltlichung - Lernprozesse der Entsonderung - Die schlechte Form der Verweltlichung ist eine Kirche, die ihre Verweltlichung mit einer geistlichen Aura einer Entweltlichung umgibt. Die kirchlichen Zeitgeister von gestern: römischer Imperialismus, mittelalterlicher Feudalismus und neuzeitlicher Absolutismus im 19.Jahrhundert. Eine neue Form des Bündnisses in der „Welt“ ist der katholische Anschluss an demokratiefeindliche Bewegungen und mediale Emotionalisierungsformen in den USA. Mediale Formen religiöser Angebote zur Welterklärung bedienen sich der Methoden der digitalen Endlos-Werbung. Diese löscht durch Anfügung von Beweis an Beweis ohne Diskurs und Gegenwehr die Fähigkeit zur Besinnung. Die gute Formung „in der Welt“ wird dann sichtbar, wenn die Kirche nicht hinter den moralischen Aufbrüchen der „Welt“ zurückbleibt: in der Ökologie, in den Menschenrechten, in der Streitkultur…
Die Kirche verbindet sich gelegentlich mit der medialen Event-Kultur – das ist nicht falsch, aber es ist keine Lösung.
Änderung der Besonderheit des Klerus in ein „mit euch“ vor dem „für euch.
Seelsorge auf Zeit – Priester auf Zeit? Kein Ende der Bildung?
Daraus ergibt sich eine Parallelschulung als eine neue Aufgabe der Fakultäten.
Vgl. Dietmar Mieth, Jede Wende – ein Anfang, Theologisch-ethische Analysen gegenwärtiger Transformationen, Luzern (Exodus) 2025
Dr. Dietmar Mieth, Prof. em. Univ. Tübingen, Theologische Ethik
Assoziierter Fellow am Max Weber Kolleg, Univ. Erfurt

Zuletzt geändert am 08­.10.2025