24.3.2010 - Rheinzeitung
Pfarrer greift eigene Kirche an - Beifall nach Predigt
Die Antworten der Bischöfe zum Beispiel im Umgang mit den sexuellen Missbrauchsfällen bezeichnet der Pastor als "erbärmliches Flickwerk" und "schönfärbende Tünche".
Applaus der Gottesdienstbesucher nach einer mutigen Predigt des Betzdorfer Pfarrers Georg Koch (65): Der katholische Pastor aus dem Kreis Altenkirchen ging mit seiner Kirche auch wegen der Aufarbeitung der sexuellen Missbrauchsfälle hart ins Gericht. "Die katholische Kirche ist die absoluteste Monarchie der Welt, in der ein Mann das Sagen hat - und allen anderen wird der Mund verboten."
Koch fordert von der katholischen Kirche "radikal Neues". Den Bischöfen wirft er "Oberflächenkosmetik" vor. Es sei an der Zeit, das Diakonieamt für Frauen zu öffnen. Die Predigt, die Koch am Wochenende in drei Kirchen gehalten hat, im Wortlaut:
"Achilleus war der Sohn des Peleus und der Meeresnymphe Thetis. Da er einen menschlichen Vater und eine göttliche Mutter hatte, war er sterblich. Thetis versuchte, ihn wenigstens unverwundbar zu machen und tauchte ihn in den heiligen Fluss Styx ein. Sie hielt ihn an der Ferse, und hier konnte das Wasser nicht immunisieren, sodass er an der Ferse verwundbar blieb. Das ist die berühmte Achillesferse. Achilles galt als stattliche Gestalt, als großer Kämpfer, als einer, der mit vielen Talenten und Begabungen ausgerüstet war. Darüber aber vergaß er, dass er verwundbar, verletzlich war. Und so konnte ihn der Pfeil der Paris treffen und ihn töten.
Auch unsere Kirche hat sich in den letzten Jahrzehnten als mächtig erwiesen. Sie war mehr fordernd und kämpfend als einladend. Sie drohte allzu oft mit der Peitsche der Angst. Dabei vergaß sie, dass sie verletzlich war. Die Ereignisse in den vergangenen Wochen, die in unserer Kirche aufzuarbeiten sind, verschrecken und erschrecken. Da ist es an der Zeit, dass die Kirche sich bekennt und entschuldigt. Viel zu lange ist in den Personalabteilungen unserer kirchlichen Behörden vertuscht und unter den Tisch gekehrt worden.
Die Bischöfe nehmen nur zaghaft Stellung. Ihnen scheint der Ruf der Kirche wichtiger zu sein als der Schutz der Opfer. Manche wie Bischof Mixa führen diese schlimmen Ereignisse auf den Zeitgeist zurück, statt einen inneren Reinigungsprozess einzuleiten, der den Sumpf trockenlegt. "Seht, ich mache etwas Neues", so ruft in der heutigen Lesung der Prophet Isaias dem Volk in der babylonischen Gefangenschaft zu. Von diesem Neuen ist in diesen Tagen in unserer Kirche nichts zu spüren. Sie hält am Alten fest. Aber es wäre ihre Aufgabe, jetzt und heute die Zukunft zu gestalten.
Das ist die zweite Achillesferse unserer Kirche. Sie schaut auf das Alte, verbirgt sich hinter Traditionen nach dem Motto: Das wird sich schon wieder einrenken. Irgendwie haben wir alles wieder auf die Reihe gebracht.
Aber nur etwas radikal Neues kann die himmelschreiende Not unserer Kirche beseitigen. In der Welt gehen Veränderungen im rasanten Tempo vor sich, in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Medizin und Sexualität. Nur in der Kirche bewegt sich nichts. Sie ist nach wie vor die absoluteste Monarchie der Welt, in der ein Mann das Sagen hat - und allen anderen wird der Mund verboten.
Was unsere Bischöfe als Lösung anzubieten haben, ist schönfärbende Tünche. Oberflächenkosmetik, erbärmliches Flickwerk, kalter Kaffee von gestern. Wie jede Erklärung unserer Bischöfe, die noch kaum jemand vom Stuhle gerissen hat. Wir können die Ereignisse der letzten Wochen nicht mit dem Zölibat verknüpfen. Und dennoch wäre es an der Zeit, den Zwangszölibat durch eine Wahlmöglichkeit aufzuwerten. Ist es nicht höchste Zeit, dass für Frauen das Diakonenamt geöffnet wird? Und wie steht es mit der neuen Heimat in unserer Kirche für Geschiedene und Wiederverheiratete? Natürlich müssen wir auch unsere eigene Achillesferse in den Blick nehmen. In den fast 40 Jahren meines Priestertums gibt es kein Jahr im Rückblick, in dem ich nicht unschuldig war, in dem meine Glaubwürdigkeit wenig überzeugend war. Wer von Euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf diese Frau, so sagt Jesus zu den Schriftgelehrten und Pharisäern im heutigen Evangelium (in dem es um eine Ehebrecherin geht, Anm. der Redaktion). Und pikanterweise heißt es, sie gingen alle von dannen, angefangen von den Ältesten.
Wo sind wir als gläubige Christen und als christliche Gemeinden überzeugend gewesen? Wo haben wir die Geschicke unserer Gemeinden selbst in die Hand genommen? Haben wir uns nicht auch zu sehr sesshaft gemacht in unseren Traditionen und stets in die Vergangenheit geschaut? Hielten wir uns nicht auch für unverwundbar? Was würde diese Gemeinde heute Morgen tun, wenn ein Plakat an der Kirche darauf hinwies, dass heute eine Frau hier predigen würde. Viele wären am Kirchenportal vorbeigegangen und hätten den Friedhof besucht. Jesus verurteilt die Ehebrecherin nicht. Wo sind die Männer, die daran beteiligt waren? In Stein haben Männer die Gebote gemeißelt, und Jesus schreibt in den Sand. Das kann man wegwischen. Jesus stellt mit seiner Frage die Männergesellschaft bloß. Und so steht auch heute im Raum: War diese Ehe, die sie angeblich brach, wirklich eine Ehe? Es gibt auch heute in unserer besten Gesellschaft Ehen, die längst, 20 und noch mehr Jahre, keine Ehen mehr sind. Eine Ehe aber, die nicht mehr existiert, kann man auch nicht brechen.
"Was Gott verbunden hat, das soll der Mensch nicht scheiden." Freilich mahnt auch dieses Wort uns zur Vorsicht. Ich hätte größte Bedenken, von jedem Paar, das sich vor dem Altar das Jawort gibt, zu behaupten, Gott habe sie zusammengefügt. Kann man in diesen Zusammenhängen nicht von einer unbarmherzigen Kirche sprechen, wenn sie die Gescheiterten ausgrenzt? Wer von Euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein auf sie. Jesus wusste, dass keiner sich diesen Anspruch anmaßen würde. Denn in seinen Augen sind alle Menschen, sind wir alle Sünder. Deshalb entlässt er nicht nur die Frau, der er nun allein gegenübersteht, sondern heute im Angesicht von Ostern uns alle mit der Mahnung: Geh hin und sündige von jetzt an - von heute an - nicht mehr.
Angesichts der Achillesfersen in unserem Leben und im Leben der Kirche gilt die Erkenntnis: Wir sind eine Gemeinschaft von Sündern, Armen, Bettlern. Nur so werden wir den Mut aufbringen, alles aufzuarbeiten, barmherzig zu sein und dem Wort Gottes zu trauen: Seht, ich mache etwas Neues. Nur aus dieser Pers-pektive wird uns der anstehende Reinigungsprozess zu neuen Ufern führen. "Aus tiefen Wunden wachsen große Flügel", sagt der Volksmund. Die Wunden aber müssen geschnitten werden, wenn sie weiter eitern, wird unsere ganze Kirche krank. Beten wir um mutige Christen und um mutige Bischöfe, damit die Barmherzigkeit des Evangeliums Raum gewinnen kann."
RZO
Zuletzt geändert am 25.03.2010