Offener Brief an Seine Eminenz Angelo Kardinal Sodano, Staatssekretär

Ihre Eminenz,

Ich schreibe Ihnen im Namen von vielen Katholiken rund um die Erde, die weder verstehen können, was im Vatikan passiert, noch was hierarchische Führer in ihren verschiedenen Diözesen tun.

Sie verstehen nicht, weshalb Sie andere Menschen unterdrücken, Menschen, die ihre Berufung in ihrer GOTT gegebenen Weise leben.

Sie verstehen nicht, weshalb Sie Frauen mit Berufung zurückweisen.

Sie verstehen nicht, weshalb Ihnen wichtiger ist, Ihre Macht zu erhalten als das Evangelium zu leben.

Sie verstehen nicht, weshalb Sie rund um die Welt Menschen unterstützen, die Kinder sexuell ausbeuten, aber Menschen ausschließen, die ihre Sexualität in der ihnen von GOTT gegebenen Weise leben, ohne anderen den geringsten Schaden zuzufügen.

Sie verstehen nicht, warum Sie den rassistischen und fremdenfeindlichen Jörg Haider, führender Politiker einer extrem rechts stehenden Partei in Österreich, empfangen und geehrt haben und warum Sie gleichzeitig und wiederholt jede Art des Dialogs mit der Gemeinschaft der Schwulen (Gay), Bisexuellen, Lesbischen und Transsexuellen (GBLT) verweigern.

Sie verstehen nicht, weshalb Sie den Diktator Augusto Pinochet umarmt, ihn vor Verfolgung geschützt, ihm Geschenke gemacht und die Heilige Kommunion gegeben haben, aber immer noch den Dialog verweigern mit der Gemeinschaft der GBLT.

Sie verstehen nicht, weshalb der Kardinal Erzbischof von Guadalajara (Mexiko) Frauen einkerkern will, die nach und auf Grund einer Vergewaltigung ihre Schwangerschaft beenden wollen.

Sie verstehen auch nicht, weshalb der Kardinal Erzbischof von Bologna die italienischen Grenzen für Nichtkatholiken schließen will.

Sie verstehen nicht, weshalb der Kardinal Erzbischof von Mexiko City sagt, die Gemeinschaften der GBLT hätten nicht nur keinen Platz in der Kirche, sondern auch keinen Platz in der Gesellschaft.

Sie verstehen nicht, weshalb Sie Bischof Jacques Gaillot davon abhielten, an den Gay Pride Events in Rom teilzunehmen, vor allem an der Konferenz über Homosexualität und Religion.

Sie verstehen nicht, warum Sie den Dialog mit den exkommunizierten Lefebvre-Schismatikern willkommen heißen, aber nicht einmal die Anwesenheit so vieler homosexueller und lesbischer Menschen zugeben, Laien wie Priester, ohne deren Arbeit und Ergebenheit die Kirche bestimmt zusammenbrechen würde.

Sie verstehen nicht, weshalb der Kardinal von Turin Priester verteidigt, die kleine Mädchen und Jungen sexuell ausbeuten.

Sie verstehen nicht, weshalb die Amerikanische Hierarchie den Dialog mit Mitgliedern der Soulforce/Dignity/Rainbow Sash - Bewegung verweigerte, alle exkommunizierte und die Hälfte von ihnen verhaften ließ, darunter auch einen 76-jährigen im Rollstuhl.

Sie verstehen nicht, weshalb afrikanische Bischöfe wollen, dass AIDS weiter grassiert, in dem sie den Gebrauch von Kondomen verbieten.

Sie verstehen nicht, weshalb der Heilige Stuhl sich in die Angelegenheiten unabhängiger Staaten einmischt.

Sie verstehen nicht, weshalb der Heilige Stuhl die Entscheidungen unabhängiger Staaten angreift in verschiedensten Streitfragen: Schwule Paare, Euthanasie, die Pille danach, Abtreibung und so weiter.

Sie verstehen nicht, weshalb der Heilige Stuhl überhaupt interveniert im Europäischen Parlament oder in der Generalversammlung der Vereinten Nationen.

Sie verstehen nicht, weshalb eine Kirche einen diplomatischen Status haben sollte. Keine andere Kirche hat dies, noch ist dies etwas, was Christus wollte.

Sie verstehen nicht, weshalb der Heilige Stuhl Bischof Jacques Gaillot von seinem Sitz als Bischof von Evreux abgesetzt hat.— Bitte nehmen Sie den Ausdruck unserer ernsthaftesten Überlegungen zur Kenntnis.

Mit freundlichen Grüßen

Yvon Thivierge (dt. Übersetzung von Simone Vogel-Kappeler)

Dieser Brief ist eine „Gemeinschaftsproduktion“ der Diskussionsforen von Partenia. Das Erstaunlich-Erfreuliche ist, dass trotz der Sprachbarrieren dieser Protestbrief mit den unterschiedlichen Nuancen der unterschiedlichen Diskussionsforen und den unterschiedlich bedrängenden Zweifeln und Anfragen zu Stande kam. Dank an Gert Rethage, den Moderator des deutschen Forums, für die Zusendung und die Übersetzerin.