|
Sehr
geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde! Es war im Jahre
1964, als ich zum ersten Male anlässlich einer kirchlichen Veranstaltung
in Stuttgart war. Es war der Katholikentag, der genau in die Zeit des
konziliaren Aufbruchs, der Hoffnungen auf eine erneuerte Kirche fiel.
In der Schlusskundgebung auf dem Killesberg war einer der mitreißendsten
Redner der Jesuit Mario von Galli, der wortgewaltig-faszinierend das neue
Gesicht der Kirche schilderte. Seine Rede schloss mit den unvergesslichen
Worten-. "Mensch, Kirche, was bist du jung, Mensch, Kirche, was bist
du schön." Diese Worte habe ich nie vergessen. Heute käme
so bald niemand auf den Gedanken, unserer Kirche eine solche Liebeserklärung
zu machen, zu sehr scheint sie gefangen in und blockiert von einer Glaubwürdigkeitskrise,
die unterschiedliche Ursachen hat und die sich in verschiedenen Krankheitssymptomen
äußert. Darauf näher einzugehen, möchte ich an dieser
Stelle uns allen ersparen. Bei der Vorbereitung dieses Vortrages habe
ich überlegt, welche Therapie unserer kranken Kirche helfen könnte,
und nach Zurateziehung von einigen klugen Büchern kristallisierte
sich ein Gedanke heraus, welches Mittel als Heilmittel dienen könnte.
Das möchte ich Ihnen im folgenden ein wenig vorstellen. Die Krankheit
unserer Kirche könnte "Geistvergessenheit" heißen,
und eine Rückbesinnung auf den Geist Gottes, der weht, wo er will,
könnte unsere Kirche von unten nach oben und von oben nach unten
mit neuem Leben erfüllen. "Tun, was der Geist den Gemeinden
sagt", so habe ich meinen Vortrag überschrieben, und eine Rückbesinnung
auf den Geist, der von Anbeginn die Kirche auf ihrer irdischen Pilgerschaft
begleitet und geleitet hat, kann uns vielleicht ein wenig deutlicher sehen
lehren, was uns allen in der Kirche heute gut tun würde.
Folgende
Punkte werde ich behandeln:
1. möchte
ich über die Geistgewirktheit der Gemeinden des Paulus sprechen,
2. gehe ich auf die "Geistvergessenheit" in der Kirche als Volk
Gottes ein,
3. sage ich etwas darüber, was der Geist heute Gemeinden sagen könnte.
1. Die Geistgewirktheit
der Gemeinden des Paulus
Dass der
Geist Gottes die Kirche auf ihrem irdischen Weg leitet und vor dem Gröbsten
bewahrt, ist aufgrund der Aussagen des 2. Testaments und aufgrund des
Selbstverständnisses der frühen Gemeinden eindeutig und unbestritten.
Folgende Verse in der Apostelgeschichte bilden wohl eine Schlüsselstelle,
um die Geistbegabung aller Söhne und Töchter Gottes zum Ausdruck
zu bringen:
"Und
geschehen wird es in den letzten Tagen - sagte Gott -
Ich gieße von meinem Geist auf alles Fleisch.
Und prophetisch reden werden eure Söhne und Töchter.
Und eure Jünglinge werden Gesichte sehen,
Und eure Alten Träume träumen.
Ja, auch auf meine Knechte und meine Mägde
gieße ich von meinem Geist in jenen Tagen.
Und prophetisch reden werden sie." (Apg 2, 17f)
Petrus bezieht
diese auf die Endzeit gerichteten Worte des Propheten Joel auf die mit
Jesu Leben, Tod und Auferstehung begonnene Heilszeit und spricht zu den
in Jerusalem versammelten Menschen: "Kehrt um! Und taufen lasse sich
jeder von euch auf Jesu des Messias Namen ... Und ihr werdet die Gabe
des Heiligen Geistes empfangen. Denn euch gilt die Verheißung und
euren Kindern und allen in der Ferne, so viele der Herr, unser Gott, herbeirufen
mag." (Apg 2, 38f)
Für
die jungen Gemeinden steht zweifelsfrei fest, dass Gottes Geist in ihnen
lebendig ist und jedem und jeder seine Gnadengaben, seine Charismen, schenkt.
Ein näherer Blick auf die Gemeinden des Paulus macht das deutlich.
In den von ihm gegründeten Gemeinden gibt es ApostelInnen, LehrerInnen,
EpiskopInnen, DiakonInnen, Vorsteherlnnen. Männer und Frauen nehmen
also Aufgaben wahr, die wir heute mit dem Begriff "Amt" in Verbindung
bringen würden. Diese Aufgaben werden von Paulus folgerichtig immer
dann genannt, wenn er von Leitung und Führung der jungen Gemeinden
spricht - und diese Aufgaben kamen, wie gesagt, Frauen wie Männern
zu. Daneben gibt es weitere Begabungen, Charismen: die Glossolalie, die
Gabe der Schriftauslegung, der Ermahnung, das Charisma der Prophetie,
des Heilens, des Tröstens - Begabungen, die wir heute eher begreifen
als spontane Äußerungen von Gemeindegliedern.
Doch für
Paulus gilt: Alle Begabungen sind den Menschen vom Geiste Gottes geschenkt,
alle sind wichtig, alle sind dem Dienst und Aufbau der Gemeinden verpflichtet,
eine Gliederung mit Über- und Unterordnung hat hier keinen Platz.
Dennoch entstand in der Gemeinde von Korinth ein heftiger Streit; dabei
ging es insbesondere um die Gabe der Ekstase und Zungenrede. In diesen
Begabungen erblickte man eine besondere Manifestation des Gottesgeistes,
und darum beanspruchten die derart Begabten eine besondere Achtung und
einen Vorrang vor den übrigen Charismen. In diese Streitigkeiten
greift Paulus ein: "Er tut es aus seiner christologisch verwurzelten
Vorstellung von Gemeinde: Sie muss eine sein, wie der Christus einer und
nicht geteilt ist." Paulus bringt in diesem Zusammenhang das in der
Antike bekannte Bild vom Gemeinwesen als "Leib" ins Spiel, nur
dass für ihn "Leib keine bloße Metapher, sondern eine
Realität ist: Ihr seid der Leib Christi, und jeder einzelne
ist Glied an ihm' (1 Kor 12,27). ... Gemeinde bildet also eine Einheit,
aber diese ist Einheit in Pluriformität. Das zeigt sich in den Charismen,
und Paulus erkennt das voll und abstrichlos an: Diese Vielgestaltigkeit
schreibt er dem Gottesgeist zu, der selber einer ist, deswegen ist sie
legitim gerade in einer durch die Einheit qualifizierten Gemeinschaft.
Deswegen auch ist dieser Pluralismus absolut ungeeignet, Hierarchisierungen
vorzunehmen, seien diese nun Ehren- oder Funktionsrangordnungen. Sie verbieten
sich zum ersten, weil der Ursprung der Charismen einzig und allein der
Geist ist, der sie in unbeeinflussbarer Souveränität zuteilt,
wem und wie er will (V.11). Sie verbieten sich zum zweiten, weil sie ausnahmslos
alle ihre Bedeutung für die Auferbauung der Gemeinde haben (VV. 15-19)."
(Wolfgang Beinert, Amt - Tradition -Gehorsam. Spannungsfelder kirchlichen
Lebens. Hören, was der Geist den Gemeinden sagt, Regensburg 1999,
44f.) Schließlich gibt es als alle überragende Gnadengabe die
Liebe, die alle Charismen prägt und sie einbindet in die Gemeinde,
den Leib Christi.
Die Liebe
also und der gemeinsame Aufbau der Gemeinden bilden für Paulus das
Fundament, auf dem sich alle Charismen - sowohl die eher leitenden und
lehrenden als auch die spontanen und diakonalen - zum Leib Christi zusammengerufen
wissen vom Geist Gottes. Diese Gemeinden des Paulus kennen also keinen
amtlichen Klerus, keine Differenzierung in Priester und LaiInnen. Die
Taufformel in Gal 3, 27f. qualifiziert das gemeindliche Leben in all seinen
Grundvollzügen: "Denn alle, die ihr in den Messias hineingetauft
wurdet - den Messias habt ihr angezogen. Da gibt es keine Juden noch Griechen,
da gibt es keinen Sklaven noch Freien, da gibt es kein Männliches
noch Weibliches. Denn alle seid ihr einer - im Messias."
Paulus denkt
also "nicht im Traum daran, einmal ein Lehrbuch des kirchlichen Verfassungsrechts
zu schreiben oder einen Traktat "De Ecclesia". Vielmehr wird
er wie die ganze Kirche damals umgetrieben von dem Willen, Christus allen
Menschen zu verkündigen und nichts anderes als sein Evangelium. Es
geht nicht um Kirchenverfassung, sondern um die getreue Tradierung des
Christentums. Das ist die leitende Problematik, der alles untergeordnet
wird und in deren Dienst alles andere genommen wird, was Paulus vorfindet.
In der vorgefundenen Realität freilich ist das eine ziemlich disparate,
gar nicht säuberlich zu katalogisierende Menge von Ämtern, Funktionen,
Diensten, ekstatischen Phänomenen. Sie alle werden über alle
Unterschiede hinweg dadurch bestimmt, dass sie geistgegeben, kirchenerbauend
und universal sind - prinzipiell hat jeder eine Aufgabe in der Gemeinde
durch die Taufe bekommen." Die einzige Sorge, die Paulus in Hinblick
auf seine Gemeinden umtreibt, ist: "Wie wird Kirche ihrer Aufgabe
gerecht, wenn sie Kirche Christi im Heiligen Geist ist?" (W. Beinert,
a.a.O., 46f.) Für die Gemeinden z.Zt. des Paulus können wir
mit Fug und Recht sagen: Sie lebten und organisierten sich so, wie der
Geist Gottes ihnen eingab.
2. Die Geistvergessenheit
der Kirche als Volk Gottes
Mit der zunehmenden
Ausbreitung des christlichen Glaubens und der wachsenden Zahl von Gemeinden
nahm nicht nur die Zahl der ErstzeugInnen ab, es wuchs auch die Gefahr
einer Ablösung vom Ursprung und der Entstehung von Irrlehren. Darum
mussten feste Organisationsformen geschaffen werden, damit die Kirche
ihrem überlieferungs- und Vermittlungsauftrag gerecht werden konnte.
So entwickelte sich seit dem 2. Jahrhundert ein Modell der Gemeindeorganisation,
das pyramidal geprägt war: An der Spitze einer Gemeinschaft stand
ein Episkopos, drunter ein Kollegium von Presbyteroi, diesen wiederum
waren die Diakonoi untergeordnet. Diesen Gruppen wurden im Laufe der Zeit
feste Aufgaben zugewiesen, und es etablierte sich allmählich unsere
hierarchische geordnete Kirchenstruktur; es bildeten sich jene Ämter,
die die Kirche bis heute prägen. Verhängnisvoll wirkte sich
aus, dass dieses Organisationsmodell zur Trennung von Klerikern und LaiInnen
führte, so dass der Begriff "laos" nicht mehr - wie noch
in der Bibel - das gesamte Volk Gottes bezeichnet, sondern lediglich diejenigen,
die keine "amtliche" Aufgabe in der Kirche ausüben. Laie/Laiin
wird zu einen negativen Wertungswort, das Menschen ohne spezielle Kenntnisse,
also Nichtfachleute, bezeichnet.
Die Wahrheit
der kirchliche Lehre, die es gegen zahlreiche Irrlehren zu bewahren gilt,
kann nur gesichert sein, wenn sich die jetzigen Amtsinhaber in ungebrochener
Nachfolgekette auf einen der Apostel berufen können. Über diese
apostolische Sukzession im apostolischen Amt, die durch Handauflegung
der Kollegen zeichenhaft verdeutlicht wird und die den Geist Gottes vermittelt,
werden Reinheit und Kontinuität der Lehre garantiert. Doch in diesem
Modell von Klerikern und LaiInnen, von Amtsinhabern und Nichtamtsinhabern
bleibt auf der Strecke, dass der Geist Gottes über alle Menschen
ausgegossen wurde, dass alle Getauften "geistliche Menschen"
sind, wie in 1 Petr 2,5 zum Ausdruck kommt: "Aufbauen lasst euch
zu einem geistigen Haus, zu einer heiligen Priesterschaft, um geistige,
Gott willkommene Opfer durch Jesus den Messias darzubringen."
Wirkmächtige
Verschiebungen im Kirchenverständnis bahnen sich den Weg: Nicht jede
Gemeinde ist mehr der Leib Christi, sondern die gesamte Kirche bildet
den Leib Christi, ihr Haupt ist Christus, doch "der ist unsichtbar,
weshalb er irdische Vikare berufen hat - Apostel erst, Bischöfe in
apostolischer Nachfolge dann -, unter denen den absoluten Vorrang der
Papst bekommt ... ; alle geistlichen Lebensströme gehen nun von Christus
zum Papst und vom Papst zu den Bischöfen und von ihnen zum Rest der
Christenheit über." (W. Beinert, a.a.O., 36f.)
In diesem Modell bleibt der Heilige Geist auf der Strecke bzw. wird eingebunden
in die Hierarchie der Kirche. Nicht jede(r) einzelne Gläubige als
Geistbegabte(r) kann seine/ihre Begabung wirksam in die Lebensvollzüge
der Kirche einbringen wie in der jungen Kirche, der Geist wird nun an
die Hierarchie gebunden und er hat zu wehen, wie sie will. Die Hierarchie
versteht sich zunehmend als Sprachrohr und ausführendes Organ des
Geistes. Der Gottesgeist, der allen Gläubigen geschenkt ist, kann
nun nur dort wirksam werden, wo der Hierarchie sein Wirken genehm ist.
Die Kirche als Geschöpf des neuschaffenden Gottesgeistes macht den
Geist zu ihrem Geschöpf und legt dessen kreative und innovative Gaben
lahm. Andere Ansätze in der Kirche, die den Geist als Lebensprinzip
der gesamten Kirche begreifen, blieben ohne konkrete Wirkungen. Die Kirche
in direkter Herkünftigkeit von Jesus Christus, repräsentiert
in den Amtsinhabern, erscheint als "machtvolles Gegenüber zur
Welt' als societas perfecta, in als unbewegliche Wahrheits- und
Konkurrenz zum Staat, ... als unbewegliche Wahrheits- und Wertbesitzerin,
als ehrwürdig-ehrfurchtsgebietende "Mater et Magistra"
definierter Menschlichkeit. Und alles das konzentrierte und inkarnierte
sich im kirchlichen Amt, das bis in den Alltagssprachgebrauch mit Kirche
synonym gebraucht wurde. Die Kirche sagte, lehrte, verbot - und gemeint
waren stets ihre Funktionsträger. Dieser -"lehrenden" stand
die "hörende" Kirche gegenüber rezeptiv, passiv, gehorsam
im Idealfall wie ein Kadaver. ... Walter Kasper, der erhellende Seiten
zur Geistvergessenheit in Theologie und Kirche' verfasst hat, kommt
zum Schluss: Es entwickelte sich die Kirche zu einer mehr und mehr bewahrenden
Macht; die Hoffnung auf Zukunft wanderte sozusagen aus der Kirche aus."
(W. Beinert, a.a.O., 38f.)
Das 2. Vaticanum
hat dieses hierarchische Kirchenbild in wichtigen Punkten korrigiert:
"So erscheint die ganze Kirche als das von der Einheit des Vaters
und des Sohnes und des Heiligen Geistes her geeinte Volk." (LG 4).
"Durch die Wiedergeburt und die Salbung mit dem Heiligen Geist werden
die Getauften zu einem geistigen Bau und einem heiligen Priestertum geweiht
... " (LG 10)
Die Christgläubigen
sind "durch die Taufe Christus einverleibt, zum Volke Gottes gemacht"
und " des priesterlichen, prophetischen und königlichen Amtes
Christi auf ihre Weise teilhaftig ... ". (LG 31) In solchen und zahlreichen
anderen Aussagen wird die Kirche begriffen als Volk Gottes unterwegs,
als communio Gottes mit den Menschen, in der alle teilhaben am gemeinsamen
Priestertum. Der Glaubenssinn und der Glaubenskonsens aller Gläubigen
- eine alte theologische Kategorie - erhalten wieder einen wichtigen Stellenwert:
"Die Gesamtheit der Gläubigen, welche ihre Salbung vom Heiligen
Geist haben, kann im Glauben nicht irren", heißt es pointiert
in LG 12.
"Folgerichtig
hat man deshalb dem sensus oder consensus der Gläubigen auch den
Charakter der Untrüglichkeit und der Unfehlbarkeit zuerkannt, und
dies nicht nur in bezug auf das irrtumsfreie Hören und Annehmen des
Glaubens, sondern auch in der Bezeugung, Geltendmachung und Vermittlung
des Glaubens ... So sind die Gläubigen in vielerlei Hinsicht auch
Lehrende des Glaubens, was das Zweite Vatikanum in einer starken Aussage
so unterstreicht, dass es sie als gültige Verkünder des Glaubens
(Lumen gentium 4) anerkennt," so der Theologe L. Scheffczyk, den
man wahrlich nicht zu den Revolutionären unter den Theologen zählen
kann. (Sensus fidelium - Zeugnis in Kraft der Gemeinschaft, in: IKZ 16
(1987) 420-437, hier: 430)
Es ist bekanntlich
nicht gelungen, diese gewissermaßen "demokratischen" Ideen
und Impulse im Konzil eindeutig durchzusetzen; unvermittelt stehen sie
neben solchen, die weiterhin an der hierarchisch geordneten Kirche und
am besonderen Priestertum der Amtsträger festhalten. Dafür nur
ein Beispiel: "Das gemeinsame Priestertum der Gläubigen aber
und das Priestertum des Dienstes, das heißt das hierarchische Priestertum,
unterscheiden sich ... dem Wesen und nicht bloß dem Grade nach."
(LG 10)
Obwohl keines
der Dokumente des Konzils zurückgenommen worden ist, erfahren wir
heute eine kirchliche Kursbestimmung, die wiederum eindeutig die Hierarchie
mit der Kirche identifiziert. Faktisch wird durch die Kirchenleitung eine
Identifizierung von kirchlichem Lehramt und Heiligem Geist vorgenommen,
und das kirchliche Recht wird als Normierungsinstrument für Glaubenswahrheiten
benutzt. Die jüngsten Verlautbarungen aus Rom sprechen eine beredte
Sprache in diese Richtung. Das hierarchische Lehramt versteht sich wiederum
als authentische Stimme des Geistes Gottes; wer anderes sagt oder lehrt,
müsse sich prüfen, wessen Geistes er oder sie sei.
Der Geist
Gottes aber lässt sich nicht domestizieren und einsperren, er ist
und bleibt unberechenbar, er ist immer für Überraschungen gut.
Denn wenn Leben, wenn Wandlung konstitutiv für die Kirche sind, dann
können wir, die wir Kirche sind, diese wandeln, können sie lebenswert
machen, im Vertrauen auf den Geist, der uns geschenkt wurde in Taufe und
Firmung.
3. Tun, was
der Geist den Gemeinden sagt
"Den
Geist erstickt nicht. Prophetenreden verachtet nicht. Alles aber prüft;
was gut daran ist, behaltet." Diese Worte richtet Paulus an die Gemeinde
von Thessaloniki. Ich denke, sie können auch für uns ein Stück
Wegweisung sein. Denn es geht Paulus darum, wie seine Gemeinde als Leib
Christi die Botschaft Jesu Christi glaubwürdig verlebendigen kann.
Entscheidend ist für ihn, dass sich Gehorsam dem Evangelium gegenüber
als "Christusliebe, Christusförmigkeit, Christusnachfolge mit
allen Fasern der eigenen Existenz erweist", so der Dogmatiker Wolfgang
Beinert (a.a.O., 97). Christus den Menschen heute zu zeigen - das allein
ist Ursprung, Mitte und Ziel der Kirche. Ihre Sendung besteht darin, Menschen
heute die frohe Botschaft des Mannes aus Nazaret zu bezeugen und zu verkünden.
Die Kirche bürgt sozusagen für die Qualität dieses Zeugnisses,
und sie hat alles zu tun, dass ihre Christushaltigkeit und -förmigkeit
alle ihre Lebensvollzüge durchdringt und prägt. Alles, was der
Eindeutigkeit und Lauterkeit dieses Zeugnisses entgegensieht, muss korrigiert
werden, seien es Lebensformen, Aktionsweisen oder Strukturen. Denn auch
Strukturen "predigen". Die Kirche hat, ich wiederhole es noch
einmal, keine andere Existenzberechtigung als "Menschen auf das Geheimnis
Gottes, der sich in Jesus Christus geoffenbart hat und in seinem Geist
weiterwirkt, (zu verweisen). Alles andere wäre Etikettenschwindel."
(U.Ruh, in: Salzkörner. Materialien für die Diskussion in Kirche
und Gesellschaft, 25. 10 1999, 10.) Da wir alle als Getaufte und Gefirmte
mit Heiligem Geist begabt sind, da wir alle "Geistliche" sind,
haben wir die Aufgabe, sei es gelegen oder ungelegen, uns um das glaubwürdige
Bezeugen unseres trinitarischen Gottes abzumühen. Niemand kann uns
von dieser Aufgabe dispensieren bzw. sie uns abnehmen. Im Gegenteil: Gerade
zu dieser Zeit, da unsere Kirche von einer nie gekannten Glaubwürdigkeitskrise
gebeutelt wird, liegt es auch an uns, ob die Kirche noch Hoffnungs- und
Lebenszeichen für Menschen sein kann.
Darum scheint
es mir unerlässlich zu sein, dass wir Widerstand leisten gegen all'
das, was manche sich verantwortlich dünkende Amtsinhaber uns z. Zt.
zumuten. Denn sie sind es, die das Evangelium des menschenfreundlichen
Gottes verdunkeln, die den Geist auslöschen bzw. ihn zu ihren Bedingungen
domestizieren. Mögen die Hirten auf Grund der Machtverhältnisse
die Institution, das Recht und eine bestimmte Auslegung der Tradition
auf ihrer Seite haben - sie haben kein Recht, "Menschen unerträgliche
Lasten aufzulegen" in Form von Apostolischen Lehrschreiben, Enzykliken,
Dekreten. Solches ziemt sich nicht für diejenigen, die den Anspruch
erheben, sie seien in besonderer Weise qualifiziert, den Willen Gottes
authentisch zu verkünden. Doch es wäre nicht das erste Mal in
der Geschichte, dass sie Gottes Willen mit ihren eigenen Vorstellungen
und Lehren verwechseln. Wenn wir zu der Überzeugung kommen, dass
bestimmte Ansprüche und Anweisungen nicht der Bezeugung und Verwirklichung
der Botschaft Jesu dienen, dann können sie für uns nicht verbindlich
sein, dann können sie nicht zum Gehorsam verpflichten. Noch einmal:
Um der Glaubwürdigkeit des Evangeliums willen, um der Glaubwürdigkeit
der Kirche willen, müssen wir uns solchen Zumutungen, die das Evangelium
verdunkeln, verweigern.
Das hat nichts
zu tun mit Widerspruchs- und Oppositionsgeist, das hat hingegen alles
damit zu tun, dass wir als mündige Gläubige aufgefordert sind,
das gemeinsame Priestertum aller Getauften nicht bloß als Lippenbekenntnis
zu verstehen, sondern als Beauftragung, unsere Sendung mit dem Geist Gottes
wirksam einzubringen in die Lebensvollzüge der Kirche.
Wir alle sind "Geistliche". Wir dürfen nicht zulassen,
dass der Geist Gottes zur Exklusivbegabung einiger Menschen in der Kirche
verkommt, die nicht mehr imstande sind, die "Zeichen der Zeit zu
erkennen, und sie im Lichte des Evangeliums zu deuten." (GS 4) Es
ist unsere geistliche Verpflichtung, immer wieder zum Ausdruck zu bringen,
dass die Kirche nicht mit Christus identisch ist, dass Gottes Geist nicht
nur das Oberhaupt der Kirche lenkt und leitet. Die Kirche ist ein Geschöpf
aus Menschen, sie tradiert die Botschaft ihres Gottes unter menschlichen
Bedingungen, und Menschen sind grundsätzlich fehlbar, so dass hier
und jetzt keine "letzten Wahrheiten" formuliert werden können,
die nicht von einer späteren Zeit sprachlich und sachlich "überholt"
werden könnten. Wir tragen des Schatz unseres Glaubens in irdischen
Gefäßen, und wir müssen uns hüten, den Inhalt mit
dem Gefäß zu verwechseln. Die Gefäße ändern
sich im Laufe der Zeiten, und auch die Kirche ist lediglich Gefäß,
um die Botschaft des Evangeliums weiterzugehen.
"Tun,
was der Geist den Gemeinden sagt", dieser leicht abgewandelte Vers
aus der Apokalypse sollte uns ermutigen, die Schritte zu gehen, die in
den Gemeinden vor Ort notwendig sind. Und es kostet Mühe und auch
viel Phantasie, das zu tun, was theologisch und pastoral sinnvoll zu gestalten
ist. Dass es an pastoraler Kompetenz und Phantasie in unserer Kirche nicht
mangelt, das haben wir heute erfahren können. Nun kommt es auf uns
an, wie wir Impulse und Visionen in bezug auf "neue Gemeinden"
umsetzen, da wird jede Gemeinde ihren eigen weg wählen müssen.
Da werden dann vielleicht, wie in den Gemeinden des Paulus, die Charismen
aller Frauen und Männer wieder wirksam werden können. Gottes
Geist wird unser Tun begleiten - wie er die Kirche zu allen Zeiten vor
dem Gröbsten bewahrt hat. Doch der Geist Gottes ist kein Geist der
Behäbigkeit und Ängstlichkeit, ihm werden bekanntlich sieben
Gaben zugeschrieben, sie alle signalisieren Dynamik, Leben, Feuer, Licht,
Trost ... sie bringen Menschen in Bewegung, setzen gegen Resignation und
Erstarrung Begeisterung und Aufbruch. Wir sind Kirche, und wir bezeugen
das, indem wir versuchen, die Kirche als das geistgewirkte Werk Gottes
zu begreifen und entsprechend unseren geistlichen Begabungen zu gestalten
und zu beleben. Möge der Geist Gottes, "durch den die lebendige
Stimme des Evangeliums in der Kirche
und durch die Welt widerhallt" (DV 8), uns Wegweisung und Wegleite
sein.
|