Tun was der Geist den Gemeinden sagt

Dr. Magdalene Bußmann, Theologin, Essen

Dr. Magdalena BußmannSehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde! Es war im Jahre 1964, als ich zum ersten Male anlässlich einer kirchlichen Veranstaltung in Stuttgart war. Es war der Katholikentag, der genau in die Zeit des konziliaren Aufbruchs, der Hoffnungen auf eine erneuerte Kirche fiel. In der Schlusskundgebung auf dem Killesberg war einer der mitreißendsten Redner der Jesuit Mario von Galli, der wortgewaltig-faszinierend das neue Gesicht der Kirche schilderte. Seine Rede schloss mit den unvergesslichen Worten-. "Mensch, Kirche, was bist du jung, Mensch, Kirche, was bist du schön." Diese Worte habe ich nie vergessen. Heute käme so bald niemand auf den Gedanken, unserer Kirche eine solche Liebeserklärung zu machen, zu sehr scheint sie gefangen in und blockiert von einer Glaubwürdigkeitskrise, die unterschiedliche Ursachen hat und die sich in verschiedenen Krankheitssymptomen äußert. Darauf näher einzugehen, möchte ich an dieser Stelle uns allen ersparen. Bei der Vorbereitung dieses Vortrages habe ich überlegt, welche Therapie unserer kranken Kirche helfen könnte, und nach Zurateziehung von einigen klugen Büchern kristallisierte sich ein Gedanke heraus, welches Mittel als Heilmittel dienen könnte. Das möchte ich Ihnen im folgenden ein wenig vorstellen. Die Krankheit unserer Kirche könnte "Geistvergessenheit" heißen, und eine Rückbesinnung auf den Geist Gottes, der weht, wo er will, könnte unsere Kirche von unten nach oben und von oben nach unten mit neuem Leben erfüllen. "Tun, was der Geist den Gemeinden sagt", so habe ich meinen Vortrag überschrieben, und eine Rückbesinnung auf den Geist, der von Anbeginn die Kirche auf ihrer irdischen Pilgerschaft begleitet und geleitet hat, kann uns vielleicht ein wenig deutlicher sehen lehren, was uns allen in der Kirche heute gut tun würde.

Folgende Punkte werde ich behandeln:

1. möchte ich über die Geistgewirktheit der Gemeinden des Paulus sprechen,
2. gehe ich auf die "Geistvergessenheit" in der Kirche als Volk Gottes ein,
3. sage ich etwas darüber, was der Geist heute Gemeinden sagen könnte.

1. Die Geistgewirktheit der Gemeinden des Paulus

Dass der Geist Gottes die Kirche auf ihrem irdischen Weg leitet und vor dem Gröbsten bewahrt, ist aufgrund der Aussagen des 2. Testaments und aufgrund des Selbstverständnisses der frühen Gemeinden eindeutig und unbestritten. Folgende Verse in der Apostelgeschichte bilden wohl eine Schlüsselstelle, um die Geistbegabung aller Söhne und Töchter Gottes zum Ausdruck zu bringen:

"Und geschehen wird es in den letzten Tagen - sagte Gott -
Ich gieße von meinem Geist auf alles Fleisch.
Und prophetisch reden werden eure Söhne und Töchter.
Und eure Jünglinge werden Gesichte sehen,
Und eure Alten Träume träumen.
Ja, auch auf meine Knechte und meine Mägde
gieße ich von meinem Geist in jenen Tagen.
Und prophetisch reden werden sie." (Apg 2, 17f)

Petrus bezieht diese auf die Endzeit gerichteten Worte des Propheten Joel auf die mit Jesu Leben, Tod und Auferstehung begonnene Heilszeit und spricht zu den in Jerusalem versammelten Menschen: "Kehrt um! Und taufen lasse sich jeder von euch auf Jesu des Messias Namen ... Und ihr werdet die Gabe des Heiligen Geistes empfangen. Denn euch gilt die Verheißung und euren Kindern und allen in der Ferne, so viele der Herr, unser Gott, herbeirufen mag." (Apg 2, 38f)

Für die jungen Gemeinden steht zweifelsfrei fest, dass Gottes Geist in ihnen lebendig ist und jedem und jeder seine Gnadengaben, seine Charismen, schenkt. Ein näherer Blick auf die Gemeinden des Paulus macht das deutlich. In den von ihm gegründeten Gemeinden gibt es ApostelInnen, LehrerInnen, EpiskopInnen, DiakonInnen, Vorsteherlnnen. Männer und Frauen nehmen also Aufgaben wahr, die wir heute mit dem Begriff "Amt" in Verbindung bringen würden. Diese Aufgaben werden von Paulus folgerichtig immer dann genannt, wenn er von Leitung und Führung der jungen Gemeinden spricht - und diese Aufgaben kamen, wie gesagt, Frauen wie Männern zu. Daneben gibt es weitere Begabungen, Charismen: die Glossolalie, die Gabe der Schriftauslegung, der Ermahnung, das Charisma der Prophetie, des Heilens, des Tröstens - Begabungen, die wir heute eher begreifen als spontane Äußerungen von Gemeindegliedern.

Doch für Paulus gilt: Alle Begabungen sind den Menschen vom Geiste Gottes geschenkt, alle sind wichtig, alle sind dem Dienst und Aufbau der Gemeinden verpflichtet, eine Gliederung mit Über- und Unterordnung hat hier keinen Platz. Dennoch entstand in der Gemeinde von Korinth ein heftiger Streit; dabei ging es insbesondere um die Gabe der Ekstase und Zungenrede. In diesen Begabungen erblickte man eine besondere Manifestation des Gottesgeistes, und darum beanspruchten die derart Begabten eine besondere Achtung und einen Vorrang vor den übrigen Charismen. In diese Streitigkeiten greift Paulus ein: "Er tut es aus seiner christologisch verwurzelten Vorstellung von Gemeinde: Sie muss eine sein, wie der Christus einer und nicht geteilt ist." Paulus bringt in diesem Zusammenhang das in der Antike bekannte Bild vom Gemeinwesen als "Leib" ins Spiel, nur dass für ihn "Leib keine bloße Metapher, sondern eine Realität ist: ‚Ihr seid der Leib Christi, und jeder einzelne ist Glied an ihm' (1 Kor 12,27). ... Gemeinde bildet also eine Einheit, aber diese ist Einheit in Pluriformität. Das zeigt sich in den Charismen, und Paulus erkennt das voll und abstrichlos an: Diese Vielgestaltigkeit schreibt er dem Gottesgeist zu, der selber einer ist, deswegen ist sie legitim gerade in einer durch die Einheit qualifizierten Gemeinschaft. Deswegen auch ist dieser Pluralismus absolut ungeeignet, Hierarchisierungen vorzunehmen, seien diese nun Ehren- oder Funktionsrangordnungen. Sie verbieten sich zum ersten, weil der Ursprung der Charismen einzig und allein der Geist ist, der sie in unbeeinflussbarer Souveränität zuteilt, wem und wie er will (V.11). Sie verbieten sich zum zweiten, weil sie ausnahmslos alle ihre Bedeutung für die Auferbauung der Gemeinde haben (VV. 15-19)." (Wolfgang Beinert, Amt - Tradition -Gehorsam. Spannungsfelder kirchlichen Lebens. Hören, was der Geist den Gemeinden sagt, Regensburg 1999, 44f.) Schließlich gibt es als alle überragende Gnadengabe die Liebe, die alle Charismen prägt und sie einbindet in die Gemeinde, den Leib Christi.

Die Liebe also und der gemeinsame Aufbau der Gemeinden bilden für Paulus das Fundament, auf dem sich alle Charismen - sowohl die eher leitenden und lehrenden als auch die spontanen und diakonalen - zum Leib Christi zusammengerufen wissen vom Geist Gottes. Diese Gemeinden des Paulus kennen also keinen amtlichen Klerus, keine Differenzierung in Priester und LaiInnen. Die Taufformel in Gal 3, 27f. qualifiziert das gemeindliche Leben in all seinen Grundvollzügen: "Denn alle, die ihr in den Messias hineingetauft wurdet - den Messias habt ihr angezogen. Da gibt es keine Juden noch Griechen, da gibt es keinen Sklaven noch Freien, da gibt es kein Männliches noch Weibliches. Denn alle seid ihr einer - im Messias."

Paulus denkt also "nicht im Traum daran, einmal ein Lehrbuch des kirchlichen Verfassungsrechts zu schreiben oder einen Traktat "De Ecclesia". Vielmehr wird er wie die ganze Kirche damals umgetrieben von dem Willen, Christus allen Menschen zu verkündigen und nichts anderes als sein Evangelium. Es geht nicht um Kirchenverfassung, sondern um die getreue Tradierung des Christentums. Das ist die leitende Problematik, der alles untergeordnet wird und in deren Dienst alles andere genommen wird, was Paulus vorfindet. In der vorgefundenen Realität freilich ist das eine ziemlich disparate, gar nicht säuberlich zu katalogisierende Menge von Ämtern, Funktionen, Diensten, ekstatischen Phänomenen. Sie alle werden über alle Unterschiede hinweg dadurch bestimmt, dass sie geistgegeben, kirchenerbauend und universal sind - prinzipiell hat jeder eine Aufgabe in der Gemeinde durch die Taufe bekommen." Die einzige Sorge, die Paulus in Hinblick auf seine Gemeinden umtreibt, ist: "Wie wird Kirche ihrer Aufgabe gerecht, wenn sie Kirche Christi im Heiligen Geist ist?" (W. Beinert, a.a.O., 46f.) Für die Gemeinden z.Zt. des Paulus können wir mit Fug und Recht sagen: Sie lebten und organisierten sich so, wie der Geist Gottes ihnen eingab.

2. Die Geistvergessenheit der Kirche als Volk Gottes

Mit der zunehmenden Ausbreitung des christlichen Glaubens und der wachsenden Zahl von Gemeinden nahm nicht nur die Zahl der ErstzeugInnen ab, es wuchs auch die Gefahr einer Ablösung vom Ursprung und der Entstehung von Irrlehren. Darum mussten feste Organisationsformen geschaffen werden, damit die Kirche ihrem überlieferungs- und Vermittlungsauftrag gerecht werden konnte. So entwickelte sich seit dem 2. Jahrhundert ein Modell der Gemeindeorganisation, das pyramidal geprägt war: An der Spitze einer Gemeinschaft stand ein Episkopos, drunter ein Kollegium von Presbyteroi, diesen wiederum waren die Diakonoi untergeordnet. Diesen Gruppen wurden im Laufe der Zeit feste Aufgaben zugewiesen, und es etablierte sich allmählich unsere hierarchische geordnete Kirchenstruktur; es bildeten sich jene Ämter, die die Kirche bis heute prägen. Verhängnisvoll wirkte sich aus, dass dieses Organisationsmodell zur Trennung von Klerikern und LaiInnen führte, so dass der Begriff "laos" nicht mehr - wie noch in der Bibel - das gesamte Volk Gottes bezeichnet, sondern lediglich diejenigen, die keine "amtliche" Aufgabe in der Kirche ausüben. Laie/Laiin wird zu einen negativen Wertungswort, das Menschen ohne spezielle Kenntnisse, also Nichtfachleute, bezeichnet.

Die Wahrheit der kirchliche Lehre, die es gegen zahlreiche Irrlehren zu bewahren gilt, kann nur gesichert sein, wenn sich die jetzigen Amtsinhaber in ungebrochener Nachfolgekette auf einen der Apostel berufen können. Über diese apostolische Sukzession im apostolischen Amt, die durch Handauflegung der Kollegen zeichenhaft verdeutlicht wird und die den Geist Gottes vermittelt, werden Reinheit und Kontinuität der Lehre garantiert. Doch in diesem Modell von Klerikern und LaiInnen, von Amtsinhabern und Nichtamtsinhabern bleibt auf der Strecke, dass der Geist Gottes über alle Menschen ausgegossen wurde, dass alle Getauften "geistliche Menschen" sind, wie in 1 Petr 2,5 zum Ausdruck kommt: "Aufbauen lasst euch zu einem geistigen Haus, zu einer heiligen Priesterschaft, um geistige, Gott willkommene Opfer durch Jesus den Messias darzubringen."

Wirkmächtige Verschiebungen im Kirchenverständnis bahnen sich den Weg: Nicht jede Gemeinde ist mehr der Leib Christi, sondern die gesamte Kirche bildet den Leib Christi, ihr Haupt ist Christus, doch "der ist unsichtbar, weshalb er irdische Vikare berufen hat - Apostel erst, Bischöfe in apostolischer Nachfolge dann -, unter denen den absoluten Vorrang der Papst bekommt ... ; alle geistlichen Lebensströme gehen nun von Christus zum Papst und vom Papst zu den Bischöfen und von ihnen zum Rest der Christenheit über." (W. Beinert, a.a.O., 36f.)
In diesem Modell bleibt der Heilige Geist auf der Strecke bzw. wird eingebunden in die Hierarchie der Kirche. Nicht jede(r) einzelne Gläubige als Geistbegabte(r) kann seine/ihre Begabung wirksam in die Lebensvollzüge der Kirche einbringen wie in der jungen Kirche, der Geist wird nun an die Hierarchie gebunden und er hat zu wehen, wie sie will. Die Hierarchie versteht sich zunehmend als Sprachrohr und ausführendes Organ des Geistes. Der Gottesgeist, der allen Gläubigen geschenkt ist, kann nun nur dort wirksam werden, wo der Hierarchie sein Wirken genehm ist. Die Kirche als Geschöpf des neuschaffenden Gottesgeistes macht den Geist zu ihrem Geschöpf und legt dessen kreative und innovative Gaben lahm. Andere Ansätze in der Kirche, die den Geist als Lebensprinzip der gesamten Kirche begreifen, blieben ohne konkrete Wirkungen. Die Kirche in direkter Herkünftigkeit von Jesus Christus, repräsentiert in den Amtsinhabern, erscheint als "machtvolles Gegenüber zur ‚Welt' als societas perfecta, in als unbewegliche Wahrheits- und Konkurrenz zum Staat, ... als unbewegliche Wahrheits- und Wertbesitzerin, als ehrwürdig-ehrfurchtsgebietende "Mater et Magistra" definierter Menschlichkeit. Und alles das konzentrierte und inkarnierte sich im kirchlichen Amt, das bis in den Alltagssprachgebrauch mit Kirche synonym gebraucht wurde. Die Kirche sagte, lehrte, verbot - und gemeint waren stets ihre Funktionsträger. Dieser -"lehrenden" stand die "hörende" Kirche gegenüber rezeptiv, passiv, gehorsam im Idealfall wie ein Kadaver. ... Walter Kasper, der erhellende Seiten zur ‚Geistvergessenheit in Theologie und Kirche' verfasst hat, kommt zum Schluss: Es entwickelte sich die Kirche zu einer mehr und mehr bewahrenden Macht; die Hoffnung auf Zukunft wanderte sozusagen aus der Kirche aus." (W. Beinert, a.a.O., 38f.)

Das 2. Vaticanum hat dieses hierarchische Kirchenbild in wichtigen Punkten korrigiert: "So erscheint die ganze Kirche als das von der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes her geeinte Volk." (LG 4). "Durch die Wiedergeburt und die Salbung mit dem Heiligen Geist werden die Getauften zu einem geistigen Bau und einem heiligen Priestertum geweiht ... " (LG 10)

Die Christgläubigen sind "durch die Taufe Christus einverleibt, zum Volke Gottes gemacht" und " des priesterlichen, prophetischen und königlichen Amtes Christi auf ihre Weise teilhaftig ... ". (LG 31) In solchen und zahlreichen anderen Aussagen wird die Kirche begriffen als Volk Gottes unterwegs, als communio Gottes mit den Menschen, in der alle teilhaben am gemeinsamen Priestertum. Der Glaubenssinn und der Glaubenskonsens aller Gläubigen - eine alte theologische Kategorie - erhalten wieder einen wichtigen Stellenwert: "Die Gesamtheit der Gläubigen, welche ihre Salbung vom Heiligen Geist haben, kann im Glauben nicht irren", heißt es pointiert in LG 12.

"Folgerichtig hat man deshalb dem sensus oder consensus der Gläubigen auch den Charakter der Untrüglichkeit und der Unfehlbarkeit zuerkannt, und dies nicht nur in bezug auf das irrtumsfreie Hören und Annehmen des Glaubens, sondern auch in der Bezeugung, Geltendmachung und Vermittlung des Glaubens ... So sind die Gläubigen in vielerlei Hinsicht auch Lehrende des Glaubens, was das Zweite Vatikanum in einer starken Aussage so unterstreicht, dass es sie als gültige Verkünder des Glaubens (Lumen gentium 4) anerkennt," so der Theologe L. Scheffczyk, den man wahrlich nicht zu den Revolutionären unter den Theologen zählen kann. (Sensus fidelium - Zeugnis in Kraft der Gemeinschaft, in: IKZ 16 (1987) 420-437, hier: 430)

Es ist bekanntlich nicht gelungen, diese gewissermaßen "demokratischen" Ideen und Impulse im Konzil eindeutig durchzusetzen; unvermittelt stehen sie neben solchen, die weiterhin an der hierarchisch geordneten Kirche und am besonderen Priestertum der Amtsträger festhalten. Dafür nur ein Beispiel: "Das gemeinsame Priestertum der Gläubigen aber und das Priestertum des Dienstes, das heißt das hierarchische Priestertum, unterscheiden sich ... dem Wesen und nicht bloß dem Grade nach." (LG 10)

Obwohl keines der Dokumente des Konzils zurückgenommen worden ist, erfahren wir heute eine kirchliche Kursbestimmung, die wiederum eindeutig die Hierarchie mit der Kirche identifiziert. Faktisch wird durch die Kirchenleitung eine Identifizierung von kirchlichem Lehramt und Heiligem Geist vorgenommen, und das kirchliche Recht wird als Normierungsinstrument für Glaubenswahrheiten benutzt. Die jüngsten Verlautbarungen aus Rom sprechen eine beredte Sprache in diese Richtung. Das hierarchische Lehramt versteht sich wiederum als authentische Stimme des Geistes Gottes; wer anderes sagt oder lehrt, müsse sich prüfen, wessen Geistes er oder sie sei.

Der Geist Gottes aber lässt sich nicht domestizieren und einsperren, er ist und bleibt unberechenbar, er ist immer für Überraschungen gut. Denn wenn Leben, wenn Wandlung konstitutiv für die Kirche sind, dann können wir, die wir Kirche sind, diese wandeln, können sie lebenswert machen, im Vertrauen auf den Geist, der uns geschenkt wurde in Taufe und Firmung.

3. Tun, was der Geist den Gemeinden sagt

"Den Geist erstickt nicht. Prophetenreden verachtet nicht. Alles aber prüft; was gut daran ist, behaltet." Diese Worte richtet Paulus an die Gemeinde von Thessaloniki. Ich denke, sie können auch für uns ein Stück Wegweisung sein. Denn es geht Paulus darum, wie seine Gemeinde als Leib Christi die Botschaft Jesu Christi glaubwürdig verlebendigen kann. Entscheidend ist für ihn, dass sich Gehorsam dem Evangelium gegenüber als "Christusliebe, Christusförmigkeit, Christusnachfolge mit allen Fasern der eigenen Existenz erweist", so der Dogmatiker Wolfgang Beinert (a.a.O., 97). Christus den Menschen heute zu zeigen - das allein ist Ursprung, Mitte und Ziel der Kirche. Ihre Sendung besteht darin, Menschen heute die frohe Botschaft des Mannes aus Nazaret zu bezeugen und zu verkünden. Die Kirche bürgt sozusagen für die Qualität dieses Zeugnisses, und sie hat alles zu tun, dass ihre Christushaltigkeit und -förmigkeit alle ihre Lebensvollzüge durchdringt und prägt. Alles, was der Eindeutigkeit und Lauterkeit dieses Zeugnisses entgegensieht, muss korrigiert werden, seien es Lebensformen, Aktionsweisen oder Strukturen. Denn auch Strukturen "predigen". Die Kirche hat, ich wiederhole es noch einmal, keine andere Existenzberechtigung als "Menschen auf das Geheimnis Gottes, der sich in Jesus Christus geoffenbart hat und in seinem Geist weiterwirkt, (zu verweisen). Alles andere wäre Etikettenschwindel." (U.Ruh, in: Salzkörner. Materialien für die Diskussion in Kirche und Gesellschaft, 25. 10 1999, 10.) Da wir alle als Getaufte und Gefirmte mit Heiligem Geist begabt sind, da wir alle "Geistliche" sind, haben wir die Aufgabe, sei es gelegen oder ungelegen, uns um das glaubwürdige Bezeugen unseres trinitarischen Gottes abzumühen. Niemand kann uns von dieser Aufgabe dispensieren bzw. sie uns abnehmen. Im Gegenteil: Gerade zu dieser Zeit, da unsere Kirche von einer nie gekannten Glaubwürdigkeitskrise gebeutelt wird, liegt es auch an uns, ob die Kirche noch Hoffnungs- und Lebenszeichen für Menschen sein kann.

Darum scheint es mir unerlässlich zu sein, dass wir Widerstand leisten gegen all' das, was manche sich verantwortlich dünkende Amtsinhaber uns z. Zt. zumuten. Denn sie sind es, die das Evangelium des menschenfreundlichen Gottes verdunkeln, die den Geist auslöschen bzw. ihn zu ihren Bedingungen domestizieren. Mögen die Hirten auf Grund der Machtverhältnisse die Institution, das Recht und eine bestimmte Auslegung der Tradition auf ihrer Seite haben - sie haben kein Recht, "Menschen unerträgliche Lasten aufzulegen" in Form von Apostolischen Lehrschreiben, Enzykliken, Dekreten. Solches ziemt sich nicht für diejenigen, die den Anspruch erheben, sie seien in besonderer Weise qualifiziert, den Willen Gottes authentisch zu verkünden. Doch es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte, dass sie Gottes Willen mit ihren eigenen Vorstellungen und Lehren verwechseln. Wenn wir zu der Überzeugung kommen, dass bestimmte Ansprüche und Anweisungen nicht der Bezeugung und Verwirklichung der Botschaft Jesu dienen, dann können sie für uns nicht verbindlich sein, dann können sie nicht zum Gehorsam verpflichten. Noch einmal: Um der Glaubwürdigkeit des Evangeliums willen, um der Glaubwürdigkeit der Kirche willen, müssen wir uns solchen Zumutungen, die das Evangelium verdunkeln, verweigern.

Das hat nichts zu tun mit Widerspruchs- und Oppositionsgeist, das hat hingegen alles damit zu tun, dass wir als mündige Gläubige aufgefordert sind, das gemeinsame Priestertum aller Getauften nicht bloß als Lippenbekenntnis zu verstehen, sondern als Beauftragung, unsere Sendung mit dem Geist Gottes wirksam einzubringen in die Lebensvollzüge der Kirche.
Wir alle sind "Geistliche". Wir dürfen nicht zulassen, dass der Geist Gottes zur Exklusivbegabung einiger Menschen in der Kirche verkommt, die nicht mehr imstande sind, die "Zeichen der Zeit zu erkennen, und sie im Lichte des Evangeliums zu deuten." (GS 4) Es ist unsere geistliche Verpflichtung, immer wieder zum Ausdruck zu bringen, dass die Kirche nicht mit Christus identisch ist, dass Gottes Geist nicht nur das Oberhaupt der Kirche lenkt und leitet. Die Kirche ist ein Geschöpf aus Menschen, sie tradiert die Botschaft ihres Gottes unter menschlichen Bedingungen, und Menschen sind grundsätzlich fehlbar, so dass hier und jetzt keine "letzten Wahrheiten" formuliert werden können, die nicht von einer späteren Zeit sprachlich und sachlich "überholt" werden könnten. Wir tragen des Schatz unseres Glaubens in irdischen Gefäßen, und wir müssen uns hüten, den Inhalt mit dem Gefäß zu verwechseln. Die Gefäße ändern sich im Laufe der Zeiten, und auch die Kirche ist lediglich Gefäß, um die Botschaft des Evangeliums weiterzugehen.

"Tun, was der Geist den Gemeinden sagt", dieser leicht abgewandelte Vers aus der Apokalypse sollte uns ermutigen, die Schritte zu gehen, die in den Gemeinden vor Ort notwendig sind. Und es kostet Mühe und auch viel Phantasie, das zu tun, was theologisch und pastoral sinnvoll zu gestalten ist. Dass es an pastoraler Kompetenz und Phantasie in unserer Kirche nicht mangelt, das haben wir heute erfahren können. Nun kommt es auf uns an, wie wir Impulse und Visionen in bezug auf "neue Gemeinden" umsetzen, da wird jede Gemeinde ihren eigen weg wählen müssen. Da werden dann vielleicht, wie in den Gemeinden des Paulus, die Charismen aller Frauen und Männer wieder wirksam werden können. Gottes Geist wird unser Tun begleiten - wie er die Kirche zu allen Zeiten vor dem Gröbsten bewahrt hat. Doch der Geist Gottes ist kein Geist der Behäbigkeit und Ängstlichkeit, ihm werden bekanntlich sieben Gaben zugeschrieben, sie alle signalisieren Dynamik, Leben, Feuer, Licht, Trost ... sie bringen Menschen in Bewegung, setzen gegen Resignation und Erstarrung Begeisterung und Aufbruch. Wir sind Kirche, und wir bezeugen das, indem wir versuchen, die Kirche als das geistgewirkte Werk Gottes zu begreifen und entsprechend unseren geistlichen Begabungen zu gestalten und zu beleben. Möge der Geist Gottes, "durch den die lebendige Stimme des Evangeliums in der Kirche und durch die Welt widerhallt" (DV 8), uns Wegweisung und Wegleite sein.