Ansprache Kreuzundmehr-Gottesdienst 16. Januar 2022 um 18 Uhr in Achern

„Gemeinsam auf dem Weg des Glaubens“

Mein Name ist Christian Weisner. Beim Kreuzundmehr-Gottesdienst, den Sie heute Abend in Achern feiern, kann ich leider nur aus der Ferne mit diesem Video dabei sein. Wie traurig, dass es diese Pandemie gibt, aber wie gut, dass es auch technische Möglichkeiten gibt, Distanzen zu überbrücken und zumindest auf diese Art Gemeinschaft zu schaffen.

Sehr sehr gerne wäre ich zu Ihnen, zu Euch in den Schwarzwald gekommen. Danke vor allem Klaus Huber aus Achern, der sich um die Einladung zu diesem Kreuzundmehr-Gottesdienst bemüht hat und der wie ich zur KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche gehört.

Vielleicht haben einige von Ihnen, von Euch im Jahr 1995 das KirchenVolksBegehren unterschrieben oder zumindest davon gehört. Damals haben in Deutschland 1,8 Millionen Menschen die fünf Punkte für eine Erneuerung unserer Kirche unterschrieben und ihre Unterschrift nach Hannover an meine Adresse geschickt. Ich war dort einer der Initiatoren des KirchenVolksBegehrens in Deutschland. Seit 2005 lebe ich mit meiner Familie in Dachau.

 „Gemeinsam auf dem Weg des Glaubens“ ist das Leitwort dieses Kreuzundmehr-Gottesdienstes. Die heutige Tageslesung aus dem ersten Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korínth, finde ich, passt sehr gut dazu:

Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur den einen Geist.
Es gibt verschiedene Dienste, aber nur den einen Herrn.
Es gibt verschiedene Kräfte, die wirken, aber nur den einen Gott

Das drückt die große Sehnsucht nach Einheit aus, nach Einheit in Gott. Im Text geht es dann weiter:

Er (der Geist) bewirkt alles in allen. Jedem aber wird die Offenbarung des Geistes geschenkt, damit sie anderen nützt.

Es geht also um die verschiedenen Gnadengaben, Dienste und Kräfte, die so zusammenwirken sollen, dass sie den anderen, der Gemeinschaft nützen. Gemeinwohl statt Einzelinteressen, Solidarität statt „ich zuerst“:

Ein hohes Ziel, ein wichtiges Ziel, ein lebenswichtiges Ziel. Wir erleben das gerade höchst aktuell in der Pandemie. Wie schwer ist es, da zusammenzuhalten, zum Beispiel die Maßnahmen von Bund und Ländern aufeinander abzustimmen, als Gesellschaft solidarisch zusammenzuhalten, das Gemeinwohl im Blick zu behalten. Sich nicht als Gesellschaft, im Dorf, in der eigenen Familie zu zerstreiten, welche Maßnahmen denn wirklich notwendig sind.

Vortrefflich lässt sich natürlich über religiöse Fragen und über unseren Glauben grundsätzlich streiten. Gerade auch im religiösen Glauben kann es verschiedene Erfahrungen und Ansichten geben, auch Glaubenszweifel gehören dazu, wenn sich der Glaube entwickeln, ja wachsen soll. Wenn wir „gemeinsam auf dem Weg des Glaubens“ sein wollen. Dies gilt für unseren persönlichen Glauben seit Kindesbeinen an wie auch für den Glaubenskanon der Kirche.

Wir dürfen, ja sollen unsere Fähigkeiten einbringen, denn in der Lesung heißt es sehr konkret:  

Dem einen wird vom Geist die Gabe geschenkt, Weisheit mitzuteilen,
dem anderen durch denselben Geist die Gabe, Erkenntnis zu vermitteln,
einem anderen in demselben Geist Glaubenskraft, einem anderen – immer in dem einen Geist –
die Gabe, Krankheiten zu heilen,

und so weiter

Ja, das wäre gut, wenn wir, wenn die Menschheit all‘ diese Gaben besitzen und zu einem Ganzen zusammenfügen würden. Das würde auch jeder Kirchengemeinde gut zu Gesicht stehen.

Das Fazit der Tageslesung lautet dann:

Das alles bewirkt ein und derselbe Geist; einem jeden teilt er seine besondere Gabe zu, wie er will.

Aber an diesem Geist der Einheit fehlt es oft. Wer stellt fest, was der richtige Geist ist? Und wer teilt die besonderen Aufgaben zu?

Ich bin kein studierter Theologe, aber ich finde, dieser Text kann auf zweierlei Weise gelesen werden. Die eine, und so ist es vielleicht oft geschehen: In unserer römisch-katholischen Kirche gibt es ein festgefügtes, ein hierarchisches System. Oft wird zum Beispiel das Bild von den Schafen und vom Hirten verwendet, es gibt sogar Oberhirten. Und der Hütehund, das könnte die Glaubenskongregation sein, die bestimmt, was zu glauben ist und was nicht. So ein festgefügtes System, wo klare Trennung herrscht, gibt es natürlich auch in der politischen Welt, im indischen Kastenwesen, in dystopischen Romanen. Auch da ist es nicht gut.

Die andere Lesart ist, dass es nicht auf die Position, auf das Amt ankommt, das jemand innehat, sondern auf die Fähigkeiten und Talente, was er oder sie am besten kann, was für die Gemeinschaft besonders gut ist. Diese Lesart, so sagen Bibelwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, entspricht wohl viel eher dem Urmodell der christlichen Gemeinden, den Jüngerinnen und Jüngern der Jesus-Bewegung. Denn in den ersten Jahrhunderten verwendeten sie noch nicht die Titel, Kleidungsstücke und Machtsymbole des damaligen Römischen Reiches.

Derzeit erkennen immer mehr Menschen, dass die erste Lesart, das festgefügte, hierarchische System, die Über- und Unterordnung, zu viel Missbrauch geführt hat. Zu geistlicher, körperlicher und sexualisierter Gewalt. Und zu deren Vertuschung. 

„Gemeinsam auf dem Weg des Glaubens“: Das findet jetzt – endlich – auch auf dem Synodalen Weg in Deutschland statt. Leider ist dieser Weg erst als Antwort der deutschen Bischöfe auf die erschütternden Ergebnisse der deutschen Missbrauchsstudie begonnen worden, der sogenannten MHG-Studie, die 2018 veröffentlicht wurde. Da haben sich die Bischöfe das Zentralkomitee dazugeholt, die offizielle Vertretung aller Katholikinnen und Katholiken, und auch viele kompetente Theologinnen und Theologen. Das Wort Synode kommt aus dem Griechischen und heißt gemeinsam gehen. Der Synodale Weg soll also ein gemeinsamer Weg sein, ein Weg, der beim Gehen entsteht.

Die Themen des Synodalen Weges in Deutschland entsprechen übrigens ziemlich genau den Punkten, die schon 1995 im KirchenVolksBegehren in Österreich formuliert wurden: Macht und Gewaltenteilung – wir nannten es damals geschwisterliche Kirche; Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche – da geht es um die Frauenordination; Priesterliche Existenz heute, sprich: braucht es wirklich die Zölibatspflicht? Und als viertes: Leben in gelingenden Beziehungen, da geht es um eine menschenfreundliche Sexualmoral.

Seit Ende 2019 wird in großen Synodalversammlungen und in vier Synodalforen intensiv gearbeitet, denn die Lösungsvorschläge sollen ja theologisch sehr gut fundiert sein, damit sie – hoffentlich – auch der Vatikan zur Kenntnis nimmt und umsetzt. Innerhalb der internationalen Vernetzung der KirchenVolksBewegung erleben wir, wie groß die Hoffnungen und Erwartungen in anderen Ländern sind. Der Synodale Weg ist kein deutscher Sonderweg, sondern es geht darum, auch mit Rom „gemeinsam auf dem Weg des Glaubens“ zu sein.

Erschreckend ist, dass kirchlicher Missbrauch und dessen Vertuschung seit Jahren in immer mehr Ländern ans Tageslicht kommen, zuletzt in Frankreich und Spanien. Auch die bislang nicht gelungene Missbrauchsaufarbeitung im Erzbistum Köln unter Kardinal Woelki trifft unsere Kirche wieder ins Mark. In der kommenden Woche warten alle höchst gespannt auf das zweite Münchner Missbrauchsgutachten.

Angesichts dieser tiefen Erschütterungen fällt es vielen schwer, „gemeinsam auf dem Weg des Glaubens“ zu bleiben. Viele sind schon aus der Kirche, aus der Kirchensteuergemeinschaft ausgetreten. Viele tragen sich mit diesem Gedanken. Bei vielen ist der Glaube an einen guten Gott erschüttert, von dessen Botschaftern so viele Verbrechen an Kindern und Jugendlichen, Frauen, Ordensfrauen und Seminaristen verübt und schließlich auch vertuscht wurden. Die Hoffnung, dass die Kirchenleitung es schafft, die so offensichtlichen innerkirchlichen Missstände zu beheben, schwindet leider immer mehr.

Aber gerade jetzt ist so wichtig, so finde ich, „gemeinsam auf dem Weg des Glaubens“ zu bleiben. Denn jede und jeder, der oder die jetzt geht, schwächt die Seite der Reformwilligen, schwächt den Druck auf die Kirchenleitung. Wir alle sind Getaufte und Gefirmte. Das ist das Grundsakrament. Gehen wir mit diesem Bewusstsein „gemeinsam auf dem Weg des Glaubens“!

Alles Gute Ihnen und Euch in Achern! Bleiben wir verbunden!

Zuletzt geändert am 19­.01.2022