28.11.2009 - Süddeutsche Zeitung

Gott ohne Diener

Immer weniger junge Männer weihen ihr Leben der Kirche

Es war ein Satz nur in einem Interview, der Alois Glück ersten Ärger in seiner Funktion als Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) einbrachte. Er könne sich vorstellen, sagte er, dass sogenannte Viri Probati, also bewährte, verheiratete Männer, zum Priester geweiht werden. Die Idee ist tausendmal vorgebracht und ebenso oft von den Kirchengewaltigen verworfen worden; diesmal aber reagierte der Augsburger Bischof Walter Mixa besonders gereizt. „Angesichts eines zunehmend aggressiven Atheismus und der Verdunstung menschlicher Werte in unserer Gesellschaft” solle Glück andere Sorgen haben, „als eine Debatte über den Zölibat vom Zaun zu brechen,” schimpfte er.

Dabei hat Glück genau da getroffen, wo es wehtut. Zum ersten Advent, ausgerechnet in dem von Papst Benedikt XVI. ausgerufenen Priesterjahr muss die katholische Kirche eingestehen, dass es noch nie so wenig Priesteramtskandidaten gab wie jetzt, dass noch nie so wenig Eintritte ins Seminar zu verzeichnen waren. 842 Seminaristen gibt es derzeit in Deutschland; vor zehn Jahren waren es 1122, das ist ein Rückgang um etwa 25 Prozent. 2008 ließen sich fast 100 Männer zum katholischen Priester weihen, 1998 waren es noch 171 gewesen – ein Minus von mehr als 40 Prozent. Nach der Wahl Joseph Ratzingers zum Papst und seinen Besuchen in Köln und in Bayern schienen sich die Zahlen zu stabilisieren, doch das war nur ein Aufschub. „Wir konnten den Trend nicht umkehren”, gibt Franz Joseph Baur zu, Regens des Münchner Priesterseminars und Sprecher der deutschen Regentenkonferenz.

Nun kann man anführen, dass auch die Zahl der Gottesdienstbesucher, der Taufen und Trauungen zurückgegangen ist – und dass auch viele evangelische Landeskirchen einen Pfarrermangel fürchten. In der katholischen Kirche aber ist der Priestermangel ein fundamentales Problem. Nur ein zölibatär lebender Priester darf eine Gemeinde leiten, die Eucharistie feiern, taufen, die Beichte hören, trauen, beerdigen. Fehlen diese Priester, werden Gemeinden zusammengelegt, die verbleibenden Geistlichen rasen von Gottesdienst zu Beerdigung, oft am Rande des Herzinfarkts; sie sollen Arbeitgeber, Verwaltungschef, Psychologe, Seelsorger, Vorbild sein. Entlastung ist nicht in Sicht: Die Lockerung des Zölibats oder die Zulassung von Frauen zum Priesteramt scheint derzeit ausgeschlossen zu sein. Und die Laien-Theologen, die genauso gut ausgebildet sind wie Priester, dürfen offiziell weder Leitungs-aufgaben übernehmen noch predigen.

Wer heute noch ins Priesterseminar geht, um ehelos Gott und der Gemeinde zu dienen, dem hängt bisweilen der Geruch eines Sonderlings an. So mehren sich die Probleme: Es gehen häufig die Überfrommen ins Seminar, die mit der Gemeinde-Wirklichkeit nicht zurechtkommen. Der Anteil homosexueller Kandidaten liegt bei 20 und mehr Prozent. Anderen fällt es schwer, tiefe Beziehungen zu knüpfen. Und diejenigen, die es können, verlieben sich und gehen.

Baur betont dennoch, „dass wir viele tolle Leute in den Seminaren haben”. Und dass die Kirche die Spirale nach unten durchbrechen müsse. „Wir sollten selbstbewusst sagen: Priester sein ist die freieste Existenz, die es gibt.” Was schwer ist, wenn Priester, die heiraten und ihr Amt aufgeben müssen, durch die Medien gehen. Matthias Drobinski

Zuletzt geändert am 08­.12.2009