8.11.2010 - Focus

Dem Fegefeuer entkommen

von FOCUS-Redakteur Markus Krischer

Einem findigen Katholiken aus Sigmaringen ist der Kirchenaustritt gelungen, ohne mit der Höchststrafe, der Exkommunikation, belegt zu werden.

Für Cyprian von Karthago war die Sache noch klar. Des ewigen Lebens werde niemand teilhaftig, so hielt der Bischof vor 18 Jahrhunderten in einem seiner Briefe fest, wenn er sich nicht „vor dem Tod“ der einzig wahren, also der katholischen Kirche anschließe.

Cyprians Credo, es gebe außerhalb der Kirche kein Heil (Extra ecclesiam salus non est), erwies sich als kostbarste Verbalreliquie des Märtyrers – hält sie doch bis heute viele Schafe in der Herde. Wer aus der Kirche austritt, und sei es auch aus rein pekuniären Motiven, dem droht die Exkommunikation, der Ausschluss von allen Sakramenten und das „ewige Feuer“.

Dass es in Zukunft wohl nicht mehr ganz so einfach ablaufen wird, ist Dieter Kiene zu verdanken. Der 68-jährige Katholik trat im August aus der Kirche aus, er wurde nicht exkommuniziert, und beim Gottesdienst in der Kirche St. Fidelis in seiner württembergischen Heimatgemeinde Sigmaringen wird er von seinem Pfarrer Karl-Heinz Berger auch weiterhin die Kommunion empfangen.

Der Offizier im Ruhestand, der einst katholisch geheiratet und seine beiden Kinder auch katholisch erzogen hat, hatte den Austritt mit einigem taktischem Geschick vollzogen.

Zunächst besuchte er seinen Pfarrer und ließ sich schriftlich bestätigen, dass bei ihm kein „Glaubensabfall“ zu erkennen sei. Der Geistliche hielt auch fest, dass Kiene zwar die Kirche als Körperschaft des öffentlichen Rechts verlassen wolle, dass er aber weiterhin Mitglied der katholischen Glaubensgemeinschaft bleiben wolle. Erst dann vollzog der 68-Jährige auf dem Standesamt den eigentlichen Austritt. Die Behörde leitete, wie üblich, diese Nachricht an das zuständige Kirchenamt weiter, in diesem Fall an das Ordinariat der Erzdiözese Freiburg. Die Standesbeamtin legte jedoch, auf Wunsch Kienes, den Brief des Pfarrers bei – und eine Erklärung des rebellischen Gläubigen.

Darin versprach Kiene, er wolle einen Geldbetrag in Höhe der ja nun wegfallenden Kirchensteuer für einen „sozialen Zweck“ spenden. Außerdem kündigte er dem Ordinariat an, er werde im Falle seiner Exkommunikation gegen diese Strafe vorgehen.

Dabei weiß der katholiche Renegat einen nicht unmaßgeblichen Fürsprecher auf seiner Seite – den Papst. Bereits 2006 hatte die höchste juristische Instanz des Vatikans, der Päpstliche Rat für Gesetzestexte, klargestellt: Der formale Akt des Kirchenaustritts belege noch keinen wirklichen „Abfall“ vom Glauben. Eine derartige Trennung liege erst dann vor, wenn der Betreffende das „Band“ mit der religiösen Gemeinschaft bewusst zerschneide.

Bis heute ignorieren die deutschen Bischöfe das Votum des Vatikans. Ist es doch nur die drohende Exkommunikation, die viele unzufriedene Gläubige von dem Kirchenaustritt abhält.

Die Burg wankt allerdings: Seit Monaten streitet sich die katholische Kirche mit einigen Gläubigen, die ihren Austritt explizit nicht als Trennung von der christlichen Gemeinschaft verstehen wollen.

Sie berufen sich dabei, so wie Kiene, auf den Päpstlichen Rat. Der Amtskirchen-Ketzer aus Sigmaringen scheint der erste zu sein, bei dem der Klerus auf Strafmaßnahmen verzichtet. Jedenfalls sieht das Erzbistum Freiburg bis heute von einer Exkommunikation ab.

Offenbar bewahrt das schriftliche Glaubensattest des Pfarrers vor der ewigen Verdammnis.

Gegenüber FOCUS erklärte der zuständige Offizial des Bistums, man werde diesen Fall als „modifizierten Austritt“ betrachten und deshalb auf die „Tatstrafe“ der Exkommunikation verzichten.

Die Frage, ob man auch in Zukunft bei gleich gelagerten Fällen so verfahren werde, wollte der Offizial nicht beantworten. Kiene dagegen freut sich, dass er eine „Bresche“ geschlagen habe. Und er freut sich auf den nächsten Gottesdienstbesuch – wenn er nach der Wandlung vor den Pfarrer tritt.

http://www.focus.de/magazin/archiv/gesellschaft-dem-fegefeuer-entkommen_aid_569741.html

Zuletzt geändert am 15­.12.2010