30.11.2007 in www.welt.de

zum Artikel "Reinhard Marx wird Münchens neuer Erzbischof"

Man mag es zunächst begrüßen, dass weder Müller noch Mixa den Zuschlag auf den Münchener Bischofsstuhl erhalten haben ; doch keiner möge an der erzkonservativ ausgerichteten Denkweise des neuen Bischofs zweifeln ; das gilt sowohl in theologischen als auch in kirchenpolitischen und liturgischen Fragen. Die Umstände, unter denen er 2003 den Saarbrücker Professor Hasenhüttl ohne Pardon suspendierte, mögen zwar viele vergessen haben – unterstreicht aber meine geäußerte Meinung eines in Talkshows zwar telegenen, Zigarre rauchenden und Rotwein trinkenden Bischofs, aber im Bischöflichen Palais sich als stets den Anweisungen Roms in serviler und devoter Weise Gehorchender geriert, der seine bisher gezeigte Arkandisziplin nun belohnt sieht mit dem Münchener Bischofsstuhl.

Zu dem in diesen Tagen in den Medien vielfach kolportierten Leitsatz des Bischofs „Wer den Zeitgeist heiratet, ist morgen schon Witwer“, stelle ich folgendes fest:

Für mich ist es eine Dramatik ungeheuerlichen Ausmaßes, dass die katholische Kirche gegenüber folgenden unaufschiebbaren Reform- und Veränderungsforderungen mit unmenschlicher Härte und Abweisung reagiert:

• Aufhebung des Pflicht(!)zölibats
• Einbindung der Frauen in Ämterstrukturen mit Ordination
• Die von klerikalen Machtansprüchen geprägte Trennung zwischen Klerus uns Laien
• Aufhebung von unhaltbaren Forderungen im Bereich der menschlichen Sexualität – z.B. das Kondomverbot ….. uvam.

Wenn Marx all das mit „Zeitgeist-Denken“ diskreditiert, so erlaube ich mir den Hinweis, dass Kirche immer dann ihren jesuanischen Auftrag verfehlt, wenn sie sich von den Sorgen und Nöten der Menschen entfernt ; ich verweise in diesem Zusammenhang auf die ungeheure Last von einer unbeschreiblichen Anzahl von Klerikern, die ihre Zuneigung zu einer Frau in der Öffentlichkeit verbergen müssen ; ich erinnere daran, dass den Frauen und Männern in diesen „Priester-Ehe-Verhältnissen“ aufgrund der kirchlichen Vorgaben ihre Menschenwürde genommen wird und die katholische Kirche – in vielen Fällen diese „Verhältnisse“ stillschweigend akzeptierend - die Betroffenen in unmenschlichen Bedrängnissen fesselt und als Amtskirche sich einer kaum überbietbaren Heuchelei und Verlogenheit hingibt.

Eine ähnlich unmenschliche Einstellung prägt das Verhalten der Kirche zur menschlichen Sexualität ; wenn jede Form der Geburtenkontrolle (abgesehen von der Knaus-Ogino-Methode)abgelehnt wird, zugleich aber in Kauf genommen wird, dass Millionen von Menschen an den Folgen von Aids eines qualvollen Todes sterben, so decouvriert sich auch hier die katholische Kirche in ihrer ganzen Unmenschlichkeit.

Ob Marx das alles bedacht hat, als er vom „Zeitgeist-Witwer-Denken“ schwadroniert hat?

Für mich steht fest, dass Kirche immer dort ihren Platz zu haben hat, wo Menschen in den Übergängen und Tiefen ihres Lebens nach Hilfe, Beistand und Fürsorge erwarten. Das Evangelium selber verweist die Kirche auf ihren Platz: Sie stehe dort, wo Menschen an den Rand der Gesellschaft geraten sind. Wie Jesus selber muss die Kirche bereit sein, sich in die Abgründe menschlicher Existenz zu begeben. Dietrich Bonhoeffer beschrieb diesen Auftrag der Kirche so: »Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist.«

Wer sich auf Jesus einlässt, bekommt es mit einem zu tun, der niemanden ausgrenzt, der für konfessionelle Grenzziehungen und Selbstgerechtigkeit nichts übrig hat. Immer wieder lobt der Jesus der Evangelien den »Glauben« von Menschen, die kein korrektes Bekenntnis ablegen, sich aber in ihrer Not vertrauensvoll an ihn wenden.

Eine Kirche, die sich von der Menschenliebe und Weltoffenheit Jesu inspirieren lässt (Das hat mit Zeitgeist-Denken nichts zu tun!), wird mehr Menschen für Jesus Christus gewinnen als eine, die eine komplizierte Glaubenslehre exklusiv verwaltet. Der bedeutende katholische Theologe Karl Rahner sprach in diesem Zusammenhang vom „anonymen Christentum“. Es gibt Menschen, die den Weg Jesu gehen, ohne ihn als Gott zu bekennen. Dass es andererseits viele gibt, die Jesus »Herr!« nennen, aber seinen Willen missachten, das weiß schon das Neue Testament.

Paul Haverkamp, Lingen

Zuletzt geändert am 11­.12.2007