Ende Juni 2021 - "Maria 2.0 Für eine gemeinsame Kirche"

KOLUMNE: Mittendrin im Paradigmenwechsel

Wie kommt es, dass die römischkatholische Kirche es immer wieder in die negativen Schlagzeilen schafft? Lust am Untergang einer 2.000-jährigen Weltorganisation? Enttäuschung, dass es die alten weißen Männer bislang nicht geschafft haben, die zeitlose Botschaft des Jesus von Nazaret von Liebe, Hoffnung und Solidarität den Menschen von heute nahezubringen? Immer deutlicher zeigt sich: Das Unfehlbarkeitsdogma des 1. Vatikanums hat die Kirchenstruktur in eine Sackgasse geführt. Und die Versuche des unheiligen Karol Józef Wojtyła und des Joseph Aloisius Ratzinger (mehr als 33 Jahre an höchster Stelle in Rom), das Aggiornamento des 2. Vatikanums abzuwürgen, sind fast gelungen. Das Verbot aus „Ordinatio sacerdotalis“ von 1994 hat lange gewirkt: Noch im Jahr 2011 wurde der australische Weihbischof Morrison abgesetzt, weil er sich für die Frauenordination einsetzte. Da war die Kirche wirklich an einem „toten Punkt“.

Erst der Rücktritt Ratzingers und die Wahl des südamerikanischen Jesuiten Jorge Mario Bergoglio im Frühjahr 2013 haben einen Neuanfang ermöglicht, allerdings mit einer immensen personellen, rechtlichen wie mentalen Hypothek, aus der sich die Kirche immer noch befreien muss – ein höchst mühsamer Prozess. Aber der Knoten ist geplatzt, es darf wieder freier gedacht und geglaubt werden. Was vor zehn Jahren noch absolutes Tabu war, wird heute an Universitäten gelehrt, zahlreich publiziert und ansatzweise auch schon von Bischöfen zumindest in Frageform formuliert. Die Ziele, die das KirchenVolksBegehren nach dem großen Missbrauchsskandal um den Wiener Kardinal Hans Hermann Groër formulierte, sind – Zufall oder Vorahnung? – genau die Themen, die die MHGStudie benannte und die seit zwei Jahren mit den deutschen Bischöfen auf dem Synodalen Weg behandelt werden.

Wie gut, dass es jetzt ein breites Bündnis von Betroffeneninitiativen und Reformkräften bis weit in die katholischen Verbände hinein gibt, das auch mit Maria 2.0 neuen Elan gewonnen hat. Die Ungeduld, dass die Ursachen geistlicher und sexualisierter Gewalt dringend be- und aufgearbeitet werden müssen, ist mehr als berechtigt. Wir stehen an einem Scheidepunkt.

Dass der Synodale Weg ein steiniger Weg sein wird, war absehbar. Zu groß sind die inhaltlichen wie psychologischen Altlasten, die abgearbeitet und aufgearbeitet werden müssen. Die Widerstände von zum Glück nur noch wenigen Bischöfen in Deutschland, mehr noch die Widerstände aus dem Vatikan zeigen aber, wie groß jetzt bei den Vertretern der Hierarchie die Angst vor Machtverlust ist. Denn der Umgang mit Macht ist das „hidden curriculum“ dieses Reformprozesses, der zwar kirchenrechtlich ein Nullum sein mag, aber vielleicht gerade deshalb unbefangener neue Lösungen für alte Blockaden entwickeln kann.

Die ökumenisch gereifte Theologie an den (noch zahlreichen) theologischen Fakultäten staatlicher Universitäten in Deutschland ist ein großer Vorteil, der nicht als deutscher Sonderweg diskreditiert, sondern als Dienst an der Weltkirche geschätzt werden sollte. Denn die Skandale, die zu diesem Synodalen Weg geführt haben, werden auch immer mehr in anderen Teilen der Weltkirche offenbar. Und innerhalb der internationalen Wir-sind-Kirche- Vernetzung erfahren wir, wie groß in aller Welt die Hoffnungen auf einen Erfolg der Synodalen Wege sind.

Aber das plötzliche Segnungsverbot homosexueller Partnerschaften, die Strafverschärfung für die Frauenweihe oder jetzt die Ankündigung eines weltweiten Synodalen Weges sind irritierend. Haben die alten Seilschaften im Vatikan immer noch das Sagen? Auch Papst Franziskus sendet wie zuletzt bei seiner Ablehnung des Rücktrittsgesuchs von Kardinal Marx immer wieder mehrdeutige Signale. Ist er ein verkappter Konservativer oder ein zu zögerlicher Reformer? Immer deutlicher wird, dass ein Kapitän allein das Kirchenschiff nicht steuern kann. Das Kirchenschiff bleibt auf hoher See. Wir sind mittendrin in einem Transformationsprozess, der später einmal als Paradigmenwechsel bezeichnet werden wird. Tragen wir jetzt das Unsere dazu bei.

Unser Kolumnist Christian Weisner, Jahrgang 1951, ist seit der Jugend einer konzilsgemäßen Kirche verbunden in Jugendarbeit, Hochschulgemeinde, Initiative Kirche von unten und hat 1995 als Mitinitiator das KirchenVolksBegehren Wir sind Kirche in Deutschland ins Leben gerufen.


Erschienen Ende Juni 2021 in der  Zeitschrift "Maria 2.0".
Mehr Informationen: https://www.mariazweipunktnull-medien.de/

Zuletzt geändert am 25­.06.2021