März 2020 – „Kirche In“ (Vorabdruck)

Franziskus und das Land der Verheißung

Die ersten drei Kapitel von Querida Amazonia: eine Liebeserklärung und flammender Appell, die Natur, Kultur und Volk zu achten und zu ehren. „Das geliebte Amazonien steht vor der Welt mit all seiner Pracht, seiner Tragik und seinem Geheimnis.“ (1) „Ich träume von einem Amazonien, das für die Rechte der Ärmsten, der ursprünglichen Völker, der Geringsten kämpft, wo ihre Stimme gehört und ihre Würde gefördert wird; ... von einem Amazonien, das seinen charakteristischen kulturellen Reichtum bewahrt, wo auf so unterschiedliche Weise die Schönheit der Menschheit erstrahlt; ...  das die überwältigende Schönheit der Natur, die sein Schmuck ist, eifersüchtig hütet, das überbordende Leben, das seine Flüsse und Wälder erfüllt; … von christlichen Gemeinschaften, die in Amazonien sich dermaßen einzusetzen und Fleisch und Blut anzunehmen vermögen, dass sie der Kirche neue Gesichter mit amazonischen Zügen schenken.“ (7)

Franziskus träumt – und scheitert. Der letzte Aspekt seines Traumes steht in krassem Widerspruch zu dem vertrockneten Kirchenverständnis, das er im 4. Kapitel wie Phrasenstroh ausdrischt. Er rezitiert das alte Lied vom Priestertum, nur das Weihesakrament befähige den Priester, der nur ein Mann sein kann, zu sagen: „Das ist mein  Leib“. Ebenso: „Ich spreche dich los von deinen Sünden“ (88). - Er spricht wohl davon, „dass für gewöhnlich die ständigen Diakone ..., die Ordensfrauen und die Laien selbst wichtige Verantwortung für das Wachstum der Gemeinschaften übernehmen und dass sie in der Ausübung dieser Aufgaben dank einer angemessenen Begleitung reifen.“(92) Spätestens wenn er die Klerikalisierung der Frauen befürchtet wird deutlich: davor hat er mehr Angst als davor, dem Klerikalismus am Ursprung zu begegnen, nämlich einer Übersakramentalisierung der Kirche.

Mich erinnert das an Mose, der, kurz vor Erreichen des Gelobten Landes, noch einmal den Durst seines Volkes stillen muss. Schon vor langer Zeit hatte er zweimal mit dem Stab an den Felsen geklopft und es floss reichlich Wasser. Diesmal bekam er die Weisung: „Nimm deinen Stab; dann versammelt die Gemeinde, du und dein Bruder Aaron, und sagt vor ihren Augen zu dem Felsen, er solle sein Wasser fließen lassen.“ (Num 20) Aber Moses handelt anders. Er sagt:  „Hört, ... können wir euch wohl aus diesem Felsen Wasser fließen lassen?“ und klopft wieder zweimal mit dem Stab gegen den Felsen. - Er ließ nicht das Wort wirken sondern sein Herrschaftszeichen, nicht den Geist sondern seinen Eigensinn. -  Durften Moses und Aaron das Land der Verheißung deshalb nur sehen, aber nicht betreten?

Sigrid Grabmeier

Zuletzt geändert am 18­.02.2020