11.5.2019 - katholisch.de

"Maria 2.0": Warum Frauen keinen Fuß mehr in die Kirche setzen

Heute beginnt der Kirchenstreik

Heute beginnt der Kirchenstreik, den die Initiative "Maria 2.0" ins Leben gerufen hat: Eine Woche lang werden Frauen keine Kirche betreten und damit gegen ihren Ausschluss vom Weiheamt und die Kirchenkrise protestieren. Die Initiatorinnen hoffen auf rege Beteiligung in Deutschland - und aller Welt.

Von Roland Müller

Als Elisabeth Hartmann-Kulla im Februar das erste Mal über "Maria 2.0" auf Facebook gelesen hatte, war ihr sofort klar, dass sie dabei mitmachen wird. "Ich habe gleich gedacht: 'Ein Kirchenstreik der Frauen, das ist es!'", sagt die pensionierte Lehrerin mit unüberhörbarer Begeisterung in der kräftigen Stimme. Der kirchliche Missbrauchsskandal, eine verkrustete Hierarchie und der Ausschluss der Frauen von den Weiheämtern: Hartmann-Kulla ist es leid, über diese seit Jahrzehnten vorgebrachten Kritikpunkte lediglich zu sprechen und tatenlos dabei zuzugucken, wie die Kirche von einer Krise in die nächste schlingert. "Ich möchte etwas tun für die Kirche", bekennt sie. Denn die Kirche liege ihr schließlich sehr am Herzen.

So sieht die Kirche ohne Frauen aus

Dabei tut die resolut wirkende Frau aus Bochum-Wattenscheid schon sehr viel für die Kirche. Hartmann-Kulla engagiert sich in ihrer Kirchengemeinde St. Pius in der Trauerpastoral. Mit sechs weiteren Frauen und einem Pastoralreferenten organisiert sie Trauercafés und bereitet Gottesdienste für Menschen vor, die vor kurzem einen Angehörigen verloren haben. Außerdem ist sie im ehrenamtlichen Schließdienst der Kolumbariums-Kirche aktiv, die vor fünf Jahren als eines der ersten Gotteshäuser im Bistum Essen in eine Beisetzungskirche umgewandelt wurde. Erst seit wenigen Tagen ist sie zudem für den Beerdigungsdienst beauftragt und hat bereits das erste Begräbnis geleitet.

Während des heute beginnenden Kirchenstreiks setzen Hartmann-Kulla und die gesamte Gruppe von ehrenamtlichen Frauen ihr Engagement in der Wattenscheider Kirche aus. Sie werden eine Woche lang keinen Fuß mehr in die Kirche setzen. Und das, obwohl sie "eigentlich keine großen Protestlerinnen" sind, wie die ehemalige Religionslehrerin zugibt. Die Frauen hatten vor einigen Monaten einstimmig beschlossen an dem von der Initiative "Maria 2.0" ins Leben gerufenem Streik teilzunehmen und zu zeigen, wie eine Kirche ohne das Engagement von Frauen aussieht. In St. Pius wird sich ihr Fehlen stark bemerkbar machen: "Unser Trauercafé wird ersatzlos ausfallen und das Kolumbarium nur noch zu den Bürozeiten der hauptamtlichen Mitarbeiter offen sein", sagt Hartmann-Kulla. Das bedeutet auch, dass die Kirche nicht nur sehr eingeschränkt zugänglich sein wird, sondern sogar einen ganzen Tag geschlossen ist. Zudem werde man am Donnerstag einen Gottesdienst auf dem Platz vor der Kirche feiern. "Am Ende wollen wir ein 350 Meter langes weißes Band um die Kirche wickeln, um sie so zu umarmen und unsere Verbundenheit mit ihr zum Ausdruck zu bringen."

So wie Hartmann-Kulla werden ab heute wohl viele deutsche Katholikinnen in den Streik treten. Wie viele genau, wissen selbst die Initiatorinnen von "Maria 2.0" nicht. "Wir sind eine Graswurzel-Bewegung und führen keine Statistik über die Teilnehmerinnen", sagt Andrea Voß-Frick. Die Psychologin hat mit weiteren Frauen der Pfarrei Heilig Kreuz in Münster die Aktion ins Leben gerufen. "Wir wissen von mehreren hundert Gruppen, die sich beteiligen", so Voß-Frick. "Es ist jedoch auch möglich, dass es tausend werden", sagt die souverän wirkende Frau mit dem markanten Kurzhaarschnitt ruhig. Aufgeregt klingt sie jedoch, als sie erzählt, dass Gruppen von Frauen aus allen Teilen Deutschlands und sogar aus dem Ausland am Kirchenstreik teilnehmen. "Wir haben Solidaritätsbekundungen aus New York und Washington erhalten", sagt sie nicht ohne Stolz. Auch die beiden internationalen kirchlichen Gruppen "Voices of Faith" und "Women's Ordination Worldwide" greifen die Proteste von "Maria 2.0" auf.

Konservative Katholiken rufen zu Austritt aus Verband auf

In Deutschland wird die Initiative besonders von der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) und dem Katholischen Deutschen Frauenbund (KDFB) unterstützt. Wohl nicht zuletzt, da der Frauenstreik viele Themen der Kirchenvolksbewegung aufgreift, die bereits seit Jahrzehnten Reformen in der katholischen Kirche fordert. Dafür erhalten die beiden großen Frauenverbände viel Zustimmung aus den Reihen ihrer Mitglieder, werden aber von außen teilweise scharf kritisiert. So forderte das Forum Deutscher Katholiken zum Austritt aus dem KDFB auf. Der Aufruf zum Boykott von Gottesdiensten stelle nach Ansicht des als konservativ geltenden Forums "eine neue Qualität in der Auseinandersetzung innerkirchlicher Kräfte gegen die Lehre der katholischen Kirche" dar.

Der Frauenverband reagierte prompt und wies die Kritik als unbegründet zurück. "Es wird leider nicht verstanden, worum es geht: um die tiefe Krise der katholischen Kirche", sagte die Präsidentin des KDFB, Maria Flachsbarth. "Uns liegt eine zukunftsfähige und geschwisterliche Kirche am Herzen, in der Frauen und Männer als Getaufte und Gefirmte in gleicher Weise Verantwortung übernehmen und gleichberechtigt sind", so Flachsbarth weiter.

Auch Voß-Frick und ihre Mitstreiterinnen wünschen sich mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche. Mut macht ihnen, dass etwa ein Drittel der meist positiven Rückmeldungen zu "Maria 2.0" von Männern stammen. Darunter sind auch Priester, die den Frauen Unterstützung anbieten und dafür sogar die Messe ausfallen lassen oder zu den Streikenden auf den Kirchplatz verlegen wollen. Doch Voß-Frick lehnt das ab: "Wir wollen niemandem die Möglichkeit nehmen, wie gewohnt den Gottesdienst zu besuchen." Es gehe vielmehr darum zu zeigen, dass Frauen in der Kirche "draußen" sind, während Männer generell "drinnen" sind, da sie Zugang zum Weiheamt haben. Das zeige sich auch bei der Mahnwache am Sonntag auf dem Domplatz in Münster, die der dortige kfd-Diözesanverband veranstaltet. "Das Haus des Bischofs befindet sich direkt am Platz", sagt Voß-Frick und kritisiert, dass sich Bischof Felix Genn, in dessen Bistum die Anfänge von "Maria 2.0" liegen, und viele seiner Mitbrüder im Bischofsamt noch nicht persönlich zu der Fraueninitiative geäußert haben.

Die 48-jährige Voß-Frick wie auch die 65-jährige Hartmann-Kulla besorgt zudem, dass die meisten der Frauen, die Aktionen im Rahmen des Frauenstreiks organisieren, eher ein höheres Alter haben. "Ich habe das Gefühl, dass wir alle 65+ sind", sagt die Wattenscheider Katholikin. Die jungen Frauen würden sich für das Thema Gleichberechtigung kaum noch interessieren. Doch sie zeigt sich kämpferisch: "Schließlich hat unsere Generation viele gute Veränderungen für Frauen in Kirche und Gesellschaft erreicht." Hartmann-Kulla gibt zu, dass es "dicke Bretter" sind, an denen die Frauen bohren, und dass man einen langen Atem bei den Forderungen nach Reformen haben müsse. "Aber vielleicht können wir ja doch etwas bewegen", beschreibt sie ihre Hoffnung – und seufzt tief.  

Zuletzt geändert am 13­.05.2019