17.10.2012 - FAZ Rhein-Main Zeitung

Für eine aufgeschlossene und bescheidene Kirche

Bischof Bettazzi ruft das Konzil in Erinnerung und mahnt auch heute Bereitschaft zur Veränderung an

Zeitzeugen zuzuhören ist immer ein Gewinn. Luigi Bettazzi zuzuhören ist darüber hinaus ein Erlebnis. Seine 88 Jahre merkt man dem Bischof nicht an - so geistreich und lebhaft, wie er vom Zweiten Vatikanischen Konzil spricht. Bettazzi ist einer der 40 noch lebenden Bischöfe, die das vor 50 Jahren von Papst Johannes XXIII. einberufene Konzil miterlebt und -geprägt haben. Am Montagabend war er im Haus am Dom zu Gast und sprach über jene Zeit und die Herausforderungen für die Kirche von heute.

Bettazzi wurde am 4. Oktober 1963 Weihbischof im Erzbistum Bologna, nur eine Woche später hatte er seinen "Auftritt" beim Konzil- in Vertretung des Erzbischofs von Bologna, Giacomo Kardinal Lercaro. Dieser war zu einem der vier Konzilsmoderatoren ernannt worden. So durfte Bettazzi über das Prinzip der Kollegialität der Bischöfe reden. Kein einfaches Thema, galt es doch, die Balance zwischen dem Primat des Papstamts und einer Betonung des Bischofsamts zu wahren.

Bettazzi meisterte die Herausforderung, an seine Rede erinnert sich auch Benedikt XVI. noch, wie der Bischof erzählt. Der Papst hatte sich vor kurzem mit einigen Konzilsvätern getroffen. Auch Joseph Ratzinger kennt das Konzil gut, in dem die katholische Kirche wichtige Akzente setzte: Er war theologischer Berater des Kölner Erzbischofs Josef Kardinal Frings.

Bettazzi spricht von "zwei kopernikanischen Wenden" - gemeint sind die Aussagen zum Verhältnis der Kirche zur Welt und zwischen Klerus und Gläubigen. Mit dem Konzil sei klargeworden, dass die Kirche für die Welt da sei und nicht umgekehrt, sagt Bettazzi. Außerdem habe es die Kirche als "Volk Gottes" definiert, was die Zusammengehörigkeit von Gläubigen und Amtsträgern habe deutlich machen sollen. "Die Hierarchie hat das letzte Wort, aber nicht das einzige." Für Bettazzi, der von 1966 bis 1999 das norditalienische Bistum Ivrea leitete, steht das Konzil aber auch für eine weitere wichtige Weichenstellung: den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, etwa bei der Religionsfreiheit, und die Einsicht in eine zeitgemäße Vermittlung von Glaubenswahrheiten. "Johannes XXIII. lag an einem Pastoralkonzil, nicht an einem dogmatischen Konzil."

Zu sprechen kommt er auch auf die Kirche von heute und warnt sie vor einem Stillstand. "Ich lebe noch, weil ich mich 88 Jahre lang verändert habe, und die Kirche bleibt so, wie Gott sie will, wenn sie auf neue Herausforderungen antwortet." Er wünscht sich dabei eine Kirche, die bescheiden auftritt und aufgeschlossen ist, "nahe bei den Menschen".

Eine solche Kirche sei auch für junge Leute attraktiv, sagt er mit Blick auf die große Bischofssynode, die gerade in Rom stattfindet. Der Papst und rund 260 Oberhirten, zu denen auch der Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst gehört, befassen sich bis Ende Oktober mit der Neuevangelisierung vor allem in westlichen Ländern. "Ich hoffe, dass die Bischöfe interessante Dinge sagen", hebt Bettazzi vor seinen rund 100 Zuhörern hervor. Wer fehlte, war ein Repräsentant des Bistums Limburg, der den Bischof hätte begrüßen können. Weder Weihbischof noch Generalvikar und Stadtdekan hatten Zeit. Dann hätte das Bistum eben einen anderen ranghohen Repräsentanten suchen und finden müssen - das hätte sich einfach gehört.

Dass die Kirche bescheiden sein müsse, zieht sich wie ein Motiv durch das Leben Bettazzis. Er gehörte zu jenen 40 Bischöfen, die kurz vor dem Ende des Konzils den "Katakombenpakt" schlossen, in dem sie sich unter anderem auf ein einfaches Leben verpflichteten und darauf, für die Armen da zu sein, deren Perspektive einzunehmen. 500 weitere Bischöfe schlossen sich jenem 1965 in der Domitilla-Katakombe geschossenen Pakt an. Zu den wichtigsten Mitbegründern zählte der brasilianische Bischof Dom Helder Camara, der, wie Bettazzi erzählt, sagte: "Das Konzil ist die Gelegenheit, dass die Kirche die Armen wahrnimmt."

STEFAN TOEPFER

Luigi Bettazzi nimmt morgen mit Hans Küng an einer Versammlung zum Konzilsgedenken in der Paulskirche teil. Sie ist öffentlich und beginnt um 18 Uhr.

Zuletzt geändert am 22­.10.2012