7.2.2010 - www.open-report.de

Zahl der Missbrauchsfälle steigt

Berlin (ddp). Im Missbrauchsskandal um den katholischen Jesuiten-Orden nimmt die Zahl der Opfer weiter zu. Inzwischen hätten sich rund 30 ehemalige Schüler des Berliner Canisius-Kollegs gemeldet, sagte die Ansprechpartnerin des Jesuitenordens für Opfer sexuellen Missbrauchs, Ursula Raue. «Der Spiegel» berichtete im Zusammenhang mit dem Skandal, dass in der katholischen Kirche seit 1995 mindestens 94 Kleriker und Laien unter Missbrauchsverdacht geraten sind. Dies habe eine Umfrage des Nachrichtenmagazins bei allen 27 deutschen Bistümern ergeben.

Raue berichtete von täglich eingehenden Anrufen und E-Mails. «Das Ganze ist wie eine Lawine», sagte die Rechtsanwältin. Es meldeten sich auch viele Personen mit Berichten über Missbrauch in anderen Institutionen in der katholischen Kirche.

Hinweise darauf, dass es auch zu Vergewaltigungen und damit zu Fällen von schwerem sexuellen Missbrauch gekommen ist, habe sie bislang nicht erhalten, sagte Raue weiter. Es gehe derzeit immer um Situationen, in denen psychisch Druck ausgeübt worden sei. «Es geht um unangenehme Gespräche und Berührungen und darum, dass Jugendliche auf dem Schoß eines Patres sitzen mussten und gestreichelt wurden. Oder um Schläge», schilderte die Mediatorin.

Zwei der drei bislang bekannten mutmaßlichen Täter seien geständig, fügte Raue hinzu. Der dritte, Pater Peter R., sei für sie im Moment nicht erreichbar.

Bei den vom «Spiegel» genannten Personen sind dem Magazin zufolge 30 in der Vergangenheit juristisch belangt und verurteilt worden. Viele Fälle seien zum Zeitpunkt ihres Bekanntwerdens jedoch bereits verjährt gewesen, heißt es in dem Beitrag. Aktuell stünden den Angaben zufolge mindestens zehn Kirchendiener unter Missbrauchsverdacht.

Von den 27 Bistümern, die der «Spiegel» am Dienstag angefragt hatte, hätten 24 geantwortet. Die Bistümer Limburg, Regensburg und Dresden-Meißen hätten eine Auskunft zu Missbrauchsfällen verweigert. Man wolle «die aktuelle Diskussion nicht noch befeuern», sagte der Sprecher des Bistums Dresden-Meißen laut dem Magazin.

Der Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz, Jesuitenpater Hans Langendörfer, sagte: «Die Enthüllungen zeigen ein dunkles Gesicht der Kirche, das mich erschreckt. Wir wollen das Thema offen angehen.» Bei der am 22. Februar beginnenden Frühjahrs-Vollversammlung der Bischofskonferenz wollen sich die Oberhäupter der katholischen Bistümer den Angaben zufolge mit dem Missbrauchsskandal auseinandersetzen.

Gegen Mitglieder des katholischen Jesuiten-Ordens waren in den vergangenen Tagen zahlreiche Vorwürfe ehemaliger Schüler wegen sexuellen Missbrauchs erhoben worden. Dabei geht es um Schulen in Berlin, Hamburg, Hannover, Bonn und im baden-württembergischen Sankt Blasien.

Langendörfer sagte, es müsse gefragt werden, «ob die Leitlinien der Bischöfe von 2002 zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch durch Geistliche bereits optimal umgesetzt werden». «Vielleicht muss die Prävention trotz aller Fortschritte noch besser werden», sagte Langendörfer. Das könnte auch die Priesterausbildung und die Fortbildung von Lehrern und Erziehern betreffen. Allerdings seien jetzt «angstgeprägte oder von Ressentiments geleitete Überreaktionen gewiss nicht hilfreich».

Das Erzbistum Berlin will eine Kommission zur Aufklärung von Fällen sexuellen Missbrauchs durch Geistliche einsetzen. Dompropst Stefan Dybowski, bisher im Bistum alleiniger Ansprechpartner für Opfer, sagte, das geplante mehrköpfige Gremium solle sich aus Personen «aus den verschiedensten Bereichen zusammensetzen, aus der Psychologie, aus der Beratung, aus der rechtlichen Welt».

Die Kirchenvolksbewegung «Wir sind Kirche» forderte: «Wenn es nicht zu einem Pauschalverdacht gegenüber allen Priestern, Ordensleuten und kirchlichen Einrichtungen kommen soll, muss die angstbesetzte kirchliche Sexuallehre und müssen die kirchlichen Strukturen auf den Prüfstand.» Eine Zölibatsdebatte alleine würde zu kurz greifen.

(ddp)

Zuletzt geändert am 07­.02.2010