Oktober 2009 - Kirche In (Kolumne "Unzensiert")

Tabu-Thema Heimerziehung

In diesem Sommer wurde die Kirche im „katholischen“ Irland erneut in Aufruhr versetzt. Der Ryan-Report enthüllte die jahrzehntelange emotionale, physische und sexuelle Gewalt in kirchlichen Heimen an Kindern und Jugendlichen. Er zeichnet ein Bild von Grausamkeit unvorstellbaren Ausmaßes. Die Häuser wurden von verschiedenen katholischen Orden geführt und vom Staat finanziell unterstützt, aber nicht ausreichend kontrolliert.

Trotz der heftigen Dementis der betroffenen Orden geht aus dem Bericht klar hervor, dass diese bis in ihre Zentralen in Rom von der in den Heimen systematisch ausgeübten Gewalt und Brutalität gewusst haben. Aber die „Kultur der Misshandlungen“ in den Heimen wurde durch eine „Kultur des Verschweigens und Augen-Verschließens“ verschleiert. Der Ryan Report straft auch die oftmals wiederholte Versicherung Lügen, die Misshandlungen seien nur von einzelnen abnormalen Individuen innerhalb dieser Institutionen begangen worden.

In der irischen Öffentlichkeit ist jetzt die Empörung darüber und auch über die ungerecht zwischen Kirche und Staat aufgeteilten Entschädigungszahlungen sehr groß. Dass dieser Skandal so lange unentdeckt blieb, dafür ist dem Bericht zufolge die in Irland besonders enge Verbindung von Staat und Kirche verantwortlich.

Auch in Deutschland wird jetzt über das viel zu lange tabuisierte Thema Heimerziehung und Kindesmisshandlungen berichtet. In den 1950er- bis 1970er-Jahren existierten etwa 1.500 katholische Heime in Deutschland. Die Zahl der hierzulande in Heimen misshandelten Kinder und Jugendlichen ist wohl wesentlich höher, als zunächst von den Kirchen angegeben. Dies soll jetzt genauer erforscht werden – allerdings nicht wie in Irland durch eine unabhängige staatliche Kommission, sondern im Auftrag der katholischen und evangelischen Kirche in Deutschland. Die Öffentlichkeit muss wachsam bleiben.

Christian Weisner
Wir sind Kirche Deutschland
www.wir-sind-kirche.de

Zuletzt geändert am 14­.10.2009