9.6.2004 - Frankfurter Rundschau

Die Kirchenvolksbewegung ergraut

Der innerkatholischen Opposition fehlt es an Nachwuchs und Erfolgen / Von Bischöfen ignoriert

Auf dem 95. Deutschen Katholikentag in Ulm vom 16. bis 20. Juni ist "Wir sind Kirche" wieder präsent. Doch ihre Zukunft ist grau: In den Bistumsgruppen sieht man kaum junge Menschen; die meisten sind weit über 50 Jahre alt.

VON HARTMUT MEESMANN

Wiesbaden · 8. Juni · Die innerkatholische Opposition "Wir sind Kirche" will beim Katholikentag ihre Forderung nach dem gemeinsamen Abendmahl von Katholiken und Protestanten erneuern - außerhalb des offiziellen Programms. Die Kirchenvolksbewegung fordert auch einschneidende Reformen in der eigenen Kirche: den Abbau der klerikalen Hierarchie etwa, die Wahl der Bischöfe durch das Kirchenvolk, die Zulassung von Priesterinnen, die Abschaffung des Zwangs zur Ehelosigkeit der Priester.

"Die Kirchenvolksbewegung ist ein Generationenprojekt, das keine Zukunft hat", urteilt nüchtern der Freiburger Religionssoziologe Michael Ebertz. Die Älteren hätten noch die Aufbruchstimmung nach dem Zweiten Vatikanischen Reformkonzil und nach der Würzburger Synode der Bistümer in Deutschland erlebt. Das war in den 1960er und 70er Jahren. Viele dieser Katholiken arbeiteten sich noch ganz selbstverständlich an ihrer Kirche ab, das gelte für die heute 20- bis 30-Jährigen nicht mehr.

Außerdem, so Ebertz, habe die Reformbewegung keinerlei Erfolge aufzuweisen: "Keine ihrer Forderungen ist bislang erfüllt worden." Die katholische Kirche sei eben eine "ultrastabile Institution", im Kern nicht zu verändern und auch reformunwillig. Schon allein deshalb sei "Wir sind Kirche" für junge Leute nicht sonderlich attraktiv: "Warum sich in einer Institution abarbeiten, die sich nicht bewegt ?"

Die Jüngeren wollten Spaß haben, Erfolge sehen und jederzeit wieder aussteigen können. Außerdem hätten junge Menschen andere Interessen. "Für sie stehen Ausbildung, Leistung, Freundschaft, Sex und Partnerschaft im Vordergrund", bilanziert Michael Ebertz die einschlägigen Umfragen.

Annegret Laakmann, hauptamtliche Referentin von "Wir sind Kirche", sieht sehr wohl Resultate: "Rom reagiert ständig mit Verboten, eben weil es an der kirchlichen Basis Unruhe gibt." Sie findet, dass die Gemeinden wacher geworden sind. Das Desinteresse der Jungen gelte allen Institutionen, damit müsse man leben. "Wir Älteren können nur unsere Anliegen verfolgen, die Jüngeren müssen ihre eigenen Formen finden", sagt Laakmann.

Christian Weisner aus Hannover, Initiator der Kirchenvolksbefragung von 1995, bei der rund 1,8 Millionen Unterschriften in Österreich und Deutschland für die Ziele von "Wir sind Kirche" zusammenkamen, meint: "Auch im politischen Geschäft ist es äußerst schwierig, neue Ideen umzusetzen." Innerkirchliches Reformengagement bedeute "langes Bohren dicker Bretter".

Von den meisten Bischöfen wird die Kirchenvolksbewegung entweder diffamiert oder ignoriert; einzig der äußerst konservative Regensburger Bischof Gerhard Müller legt sich gezielt mit ihr und anderen kritischen Geistern an und möchte die Reformer am liebsten aus der Kirche werfen.

So sitzt "Wir sind Kirche" zwischen allen Stühlen. Sie kann sich auch nicht damit trösten, dass ihre Reformforderungen in Umfragen große Unterstützung erfahren. Zugleich halten nur vier Prozent der Bevölkerung innerkirchliche Reformen für ein vordringliches gesellschaftliches Thema, wie eine Repräsentativumfrage aus dem Jahr 2003 ergeben hat. Auch unter den Katholiken halten gerade 30 Prozent Reformen für relativ dringend.

Quelle: Frankfurter Rundschau, S. 5 http://www.fr-aktuell.de/ressorts/nachrichten_und_politik/deutschland/?cnt=450921&

Zuletzt geändert am 22­.07.2009