28. April 2006 - Stuttgarter Zeitung

Ausgetreten, aber immer noch katholisch

Briefe aus dem Vatikan wecken Zweifel, ob das deutsche Verfahren gültig ist

Von Michael Trauthig

Der Bericht aus der bayerischen Provinz klingt nach Mittelalter. Aus der Kirche ausgetretene Gläubige würden "verfolgt", meint Sigrid Grabmeier von der katholischen Reformgruppe Wir sind kirche, zwar nur in Einzelfällen - aber immerhin. Sie kennt einen Priester, der über einen Ausgetretenen den Bann verhängte. Der Mann war Busunternehmer, und weil er die Kirche verlassen hatte, sollten Gemeindeglieder ihn nicht mehr buchen. Der örtliche Seniorenclub hielt sich nicht daran und musste selbst büßen: Der Gottesmann ließ die Rentnertruppe nicht mehr in die Gemeinderäume. So einfach könnten es sich Geistliche nicht mehr machen, meinen die Reformer. Ausgetretene würden künftig womöglich nicht nur Respekt, sondern auch Rechte genießen.

Das zumindest legen zwei Schreiben aus dem Vatikan nahe. Sie zweifeln den in Deutschland praktizierten Kirchenaustritt an. Hier reicht es, beim Amtsgericht oder Standesamt den Abschied von der katholischen Religionsgemeinschaft zu erklären. Die Kirche interpretiert den Schritt als Glaubensabfall, die Exkommunikation folgt. Das seit den 60er-Jahren geübte Verfahren gerät nun in die Kritik. In einem Brief an die US-Bischöfe sagt der "päpstliche Rat für die Interpretation von Gesetzestexten", ein zivil-administrativer Akt genüge für einen gültigen Kirchenaustritt nicht. Vielmehr müsse die Entscheidung direkt von der Kirche angenommen werden.

Grabmeier sieht in dem Dokument eine frohe Botschaft. Setzte sich die Auffassung durch, könnte der Einzelne vielleicht Kirchensteuer sparen, behielte aber alle Rechte etwa zum Sakramentsempfang in der Gemeinde. Schließlich würden manche Menschen nur austreten, weil sie mit der Verwendung ihres Geldes nicht einverstanden seien. Positiv wäre es auch, dass sich die Geistlichen dann mit den Abwandernden auseinander setzen müssen - sei es in einem Brief, in einem Gespräch oder bei einem Besuch, so Grabmeier. "Das eröffnet der Seelsorge Chancen."

Die Schreiben lassen manchen Kirchenmann offenbar Einbußen fürchten. Aber die deutsche Bischofskonferenz zeigt sich gelassen. An der Praxis werde sich nichts ändern. Jede andere Vorstellung wäre absurd, heißt es dort. Die Oberhirten haben vor einiger Zeit das Thema erörtert. In einer Epistel an das bischöfliche Ordinariat in Rottenburg wurden nämlich bereits ähnliche Thesen vertreten. Der Anlass: eine Katholikin hatte einen einst katholisch getauften Protestanten ehelichen wollen. Bei der Frage, ob eine gültige katholische Heirat möglich sei, kam die Grundsatzfrage des Kirchenaustritts aufs Tapet. Die Verliebten durften vor den Traualtar treten. Die Kirchenjuristen haben an dem Schreiben aus Rom aber noch zu knabbern.

Zuletzt geändert am 09­.05.2006