Offener Brief an den Bischof von Rom und an die deutschen Bischöfe

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An den Bischof von Rom Papst Benedikt XVI.
An die Erzbischöfe, Bischöfe und Weihbischöfe der 27 deutschen Diözesen

Eure Heiligkeit Papst Benedikt XVI., sehr geehrte Herren Erzbischöfe und Bischöfe!

1.845.141 Menschen, von denen sich 1.483.340 ausdrücklich als römisch-katholisch bekannten, haben im Herbst 1995 allein in Deutschland die fünf Forderungen des KirchenVolksBegehrens unterschrieben. Sie taten dies auf der Grundlage der dogmatischen Konzils-Konstitution „Lumen Gentium“, Art. 37, und des Can. 212 § 3. des Kirchenrechts. Danach haben die Gläubigen „das Recht und bisweilen sogar die Pflicht, ihre Meinung in dem, was das Wohl der Kirche angeht, den geistlichen Hirten mitzuteilen und sie unter Wahrung der Unversehrtheit des Glaubens und der Sitten und der Ehrfurcht gegenüber den Hirten und unter Beachtung des allgemeinen Nutzens und der Würde der Personen den übrigen Gläubigen kundzutun.“

Immer wieder haben sich Menschen aus der KirchenVolksBewegung in den vergangenen Jahren an den Papst in Rom, an einzelne Bischöfe sowie auch an die deutsche Bischofskonferenz gewandt, ohne dass jedoch ein wirklicher Dialog zustande gekommen ist. Dies ist umso bedauerlicher, als die Unterschriften von Laien, Priestern und Ordensleuten unter das KirchenVolksBegehren – wie Untersuchungen immer wieder zeigen – nach wie vor für die große Mehrheit der praktizierenden Katholiken und Katholikinnen stehen, die sich für die vom Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965), der „Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland” (1971-1975) sowie der Dresdener Pastoralsynode (1973-1975) angestoßenen und seitdem theologisch und pastoral weiter entwickelten Reformschritte einsetzen.

Anlässlich des Pastoralbesuches von Papst Benedikt XVI. im September 2006 müssen wir feststellen:

1. Immer mehr Menschen wird das „Glauben“ in der Kirche gerade durch das Festhalten an überholten kirchlichen Strukturen erschwert oder gar unmöglich gemacht. Hunderttausende haben schon »Kirchenflucht« begangen, Millionen haben sich in die innere Emigration zurückgezogen. Besonders Frauen finden es zunehmend unerträglich, dass sie durch die patriarchalen, kirchlichen Strukturen gehindert werden, ihre Berufungen und ihren Glauben in der Kirche zu leben.

2. Die Zahl der Menschen und Gemeinden wird immer größer, die sich für innerkirchliche Reformen wie die Ordination von Frauen, die Zulassung von verheirateten Männern („viri probati“) zum Priesteramt, die Aufhebung des Pflichtzölibats für Priester oder die Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten einsetzen. Auch die zahlreichen Voten von Räten, Kommissionen, Verbänden, Synoden und Pastoralgesprächen zeigen die Notwendigkeit dieser Reformen immer deutlicher.

3. Bedingt durch den weiter zunehmenden Priestermangel steht die Gemeindepastoral vor umwälzenden Umbrüchen, auf die unsere Kirche nicht vorbereitet ist. Die Hälfte unserer Pfarreien in Deutschland wird in naher Zukunft ohne ordinierte Seelsorger und regelmäßige Eucharistiefeier sein. Die derzeitigen bischöflichen Strukturüberlegungen haben die Gemeinde als Urmodell christlicher Gemeinschaft aus den Augen verloren und kündigen den Abschied von der Ortsgemeinde an. – Auch weltweit ging in dem 26-jährigen Pontifikat von Johannes Paul II. die Zahl der Priester um 4 Prozent zurück, während die Zahl der Katholiken und Katholikinnen weltweit um 40 Prozent anstieg.

4. Die Weltbischofssynode zur Eucharistie 2005 in Rom hat gezeigt, dass die von der KirchenVolksBewegung seit Jahren thematisierten Reformanliegen keineswegs nur Deutschland betreffen. Bischöfe – vor allem aus Dritte-Welt-Ländern, den USA und den Unierten Orthodoxen Kirchen – haben dieses zur Sprache gebracht.

5. Die aktuelle Finanz- und Vertrauenskrise ist Zeichen einer schweren geistigen und geistlichen Krise. Die drastischen Sparmaßnahmen werden in vielen Bistümern ohne Transparenz und breitere Mitwirkung praktiziert. Der pastorale und soziale Rückbau hat zur Folge, dass sich die Kirche immer mehr von den Menschen entfernt.

6. Die römisch-katholische Kirche erreicht mit ihrer Botschaft nur noch einen weiter schrumpfenden Bruchteil der gesellschaftlichen Milieus, wie in aufrüttelnder Weise die jüngst veröffentlichte „Sinus-Studie“ aufzeigt, die die Einstellungen von Menschen zu Religion und Kirche sowie konkrete Wünsche und Erwartungen an die katholische Kirche untersuchte.

7. Zu sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt, fehlt die Stimme der Kirche in den gegenwärtigen gesellschaftlichen Umverteilungs- und Umstrukturierungsprozessen sowie zu den Folgen der weltweiten Globalisierung.

8. Die einschneidenden Eingriffe des Vatikans in den letzten Jahren – wie beispielsweise die „Laieninstruktion”, das Apostolische Schreiben „Ad tuendam fidem“ (Zum Schutz des Glaubens), die die Ökumene sehr belastende Erklärung „Dominus Iesus” und die Liturgie-Instruktion „Redemptionis Sacramentum“ – haben die Kluft zwischen Kirchenleitung und Kirchenvolk immer mehr vertieft.

9. Besonders gravierend für die katholische Kirche in Deutschland waren und sind die jüngste scharfe Kritik am Zentralkomitee der deutschen Katholiken durch den neuen Präfekten der Glaubenskongregation, Kardinal Levada, die Infragestellung der seit der „Würzburger Synode“ bestehenden Pfarrgemeinde-, Dekanats- und Diözesanräte und all ihrer Beschlüsse durch die Kleruskongregation sowie die jetzt auf Druck von Rom erfolgte Ausgrenzung von Haupt- und Ehrenamtlichen im kirchlichen Dienst, die sich in der Schwangerschaftskonfliktberatung engagieren, nachdem sich die deutschen Bischöfe bereits 1999 daraus zurückgezogen haben.

10. Die bereits 1994 vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken konstatierte Dialogverweigerung mit dem Kirchenvolk hält an. Auch die zahlreichen Dialogversuche seitens der KirchenVolksBewegung sind von den Bischöfen nur sehr zögerlich oder gar nicht aufgenommen worden. Die Bitte der Internationalen Bewegung Wir sind Kirche um Gespräche mit Papst Johannes Paul II. und Papst Benedikt XVI. sind nicht beantwortet worden.

Die römisch-katholische Kirche steht in Deutschland, in Europa und weltweit vor dramatischen Veränderungen und Herausforderungen, die nur von Kirchenvolk und Bischöfen gemeinsam bewältigt werden können. Wenn Sie wahre Hirten der Kirche, solidarisch mit deren Nöten und Hoffnungen, sein wollen, sollten Sie – als Nachfolger der Apostel – im Sinne des Apostel Paulus „nicht als Herr über den Glauben, sondern als Diener unserer Freude” handeln (2 Kor 1,24). Deshalb appellieren wir an Sie:

  • Nutzen Sie den Mangel an Priestern als Chance für ein neues Bewusstsein der Mit- und Selbstverantwortung in den Gemeinden! Binden Sie die so genannten Laien in die Weitergabe des Glaubens und in Leitung der Gemeinden kompetent ein!
  • Sehen Sie das Drängen der Frauen als Zeichen der Identifizierung mit der Kirche! Gerade die Visionen von Frauen für ein erneuertes Amt bieten Chancen für eine zukunftsweisende Pastoral!
  • Räumen Sie den Jugendlichen und jungen Erwachsenen Gestaltungsmöglichkeiten und Eigenverantwortung ein, da nur so eine Beheimatung in der Kirche gelingen kann!
  • Erkennen Sie das Engagement gerade auch kritischer Katholikinnen und Katholiken als klares Zeichen der Liebe zur Kirche und als Alternative zu tatsächlicher oder innerer Emigration!
  • Ergreifen Sie die besondere Verantwortung für die Ökumene mit den Kirchen der Reformation! Geben Sie ein klares Bekenntnis für das Verbindende im Glauben sowie zum zweiten Ökumenischen Kirchentag im Jahr 2010 ab!
  • Zeigen Sie in christlicher Zuversicht Mut! Wir brauchen eine offene, den Menschen zugewandte und geschwisterliche Kirche. Seien Sie zum offenen und ernsthaften Dialog mit dem Kirchenvolk bereit!


Dietgard Heine und Christian Weisner
für das Bundesteam der KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche

München, im August 2006

Zuletzt geändert am 31­.10.2006