Wir sind Kirche erhält "1001 Christenpreis"







Alle zwei Jahre sucht die Gemeinde St. Michael in Schweinfurt nach einem Preisträger für ihren „1001 Christenpreis für Mut und Zivilcourage in der Kirche.“ Zum sechsten Mal wird dieser Preis heuer am Pfingstfest vergeben. Die Wahl fiel diesmal auf die KirchenVolksBewegung „Wir sind Kirche“.

Am Pfingstsonntag, 12.06.2011, um 9.30 Uhr empfängt die Pfarrgemeinde die beiden Vertreter von "Wir sind Kirche". Um 10 Uhr lädt sie dann zum Pfingstgottesdienst ein. Die Dialogpredigt der beiden Vertreter von "Wir sind Kirche" Annegret Laakmann und Magnus Lux dreht sich um das Thema: "die Wahrheit wird euch frei machen".

Pfingstsonntag, 12.06.11, 9.00 Uhr Pfarrgemeinde St. Michael, Florian-Geyer-Straße 11, 97421 Schweinfurt

Gemeinde St. Michael: www.stmichael.de

> Pressemitteilung

> "Aus Liebe zur Kirche für Reformen kämpfen"
Main-Post 8.6.2011

> derselbe Artikel als Wir sind Kirche-Presseecho


Die Wahrheit wird euch frei machen
Dialogpredigt aus Anlass der Verleihung des Preises 1001





Annegret Laakmann

Ich bin dankbar und froh, dass ich hier in St. Michael meine Gedanken äußern darf - an der für die Predigt vorgesehenen Stelle. Schon einmal hatte ich eine Predigt vorbereitet, über Maria von Magdala, Schutzpatronin meiner Heimatgemeinde, doch im letzten Moment bekam unser Pfarrer Angst vor den Konsequenzen - und so wurde unser Matronatsfest ohne Predigt, aber mit einem 5-minütigen schweigenden Nachdenken über das Evangelium begangen. Und 5 Minuten können ganz schön lange sein.

Liebe Geschwister im Glauben.

In der Lesung aus der Apostelgeschichte des heutigen Tages hören wir, dass die Jüngerinnen und Jünger in einem Raum in Jerusalem beisammen waren.
Sie hatten sich zum Gebet versammelt. Wie mag ihnen zumute gewesen sein? Jesus, auf den sie ihre ganze Hoffnung gesetzt hatten, hatte sie verlassen, er hatte sich ihnen entzogen, nachdem er doch trotz seiner Kreuzigung und Grablegung noch unter ihnen gewesen war und sich ihnen als lebendig gezeigt hatte. Doch jetzt waren sie verunsichert, hatten sie Angst.
Es wird berichtet, dass am Tag des Wochenfestes ein Tosen das ganze Haus, in dem sie versammelt waren, erfüllte. Zungen wie von Feuer ließen sich auf ihnen nieder. Sie wurden vom Geist Gottes erfüllt. Sie begannen zu reden, wie die Geistkraft es ihnen eingab. Sie redeten frei heraus.
Die Bedrückung nach dem Abschied war geschwunden – sie versteckten sich nicht mehr, ihr Gebet war nicht mehr im stillen Kämmerlein, in das sie sich zurückgezogen hatten. Sie verkündigten die Wahrheit über Jesus, den Christus – und alle, die ob des tobenden Windes herbeigeeilt waren, konnten sie verstehen. Menschen aus „aller Welt“ waren in Jerusalem. Sie hörten die Jüngerinnen und Jünger in ihrer Sprache reden.

Magnus Lux
Moment, das kann doch gar nicht sein: Alle Menschen aus der damals bekannten Welt hören sie in ihrer Sprache reden?
Ich hab mal darüber nachgedacht. Da ist mir die babylonische Sprachverwirrung eingefallen. Weil die Menschen zu hochmütig waren, hatte Gott ihre Sprache verwirrt, sodass sie sich nicht mehr verstanden.
Die Geistkraft Gottes macht dieser Verwirrung nun ein Ende. Die Jüngerinnen und Jünger sprechen eine Sprache, die alle verstehen. In einem uralten Schlager hieß es: „Die Sprache der Liebe ist international.“ Ist „Liebe“ nicht die Sprache Gottes?

Annegret Laakmann
Die Menschen, die in den Kategorien Macht, Vorrang, Geld und Besitz denken, verstehen diese Sprache nur schwer oder gar nicht. Und so wird weiter berichtet, dass viele es nicht fassen konnten und spotteten: „Sie sind mit Wein abgefüllt.“
„Im Wein liegt Wahrheit“ sagen wir heute. Wahrheit und Freiheit als Ausdruck der Trunkenheit? Waren sie, die sich damals in Jerusalem zurückgezogen hatten, nicht eher trunken vom Geist, erfüllt von allem, was sie erlebt hatten? Abgefüllt mit ihrer Überzeugung und dem Drang, mitzuteilen, zu reden, zu bezeugen, zu überzeugen. Mit einem außerordentlichen Ereignis, einer plötzlichen Erkenntnis machten sie sich frei und verkündeten.

Magnus Lux
Hatte der Prophet Joel es nicht vorhergesagt: „Ich, euer Gott, will meine Geistkraft ausgießen, dass eure Söhne und Töchter prophetisch reden, eure jungen Leute Visionen schauen und eure Alten Träume träumen.“
Vom Geist erfüllt sprachen die Jüngerinnen und Jünger in Jerusalem über das, was sie bewegte , über das, was sie mit diesem Jesus erfahren hatten. Und alle, die zum Glauben gekommen waren, verharrten in der Lehre der Apostel.

Annegret Laakmann
Heute feiern wir das Pfingstfest, den Geburtstag der Kirche. Durch dieses Fest haben wir „alle als gläubige Christinnen und Christen teil an den Gaben des Heiligen Geistes und deshalb auch an der Verantwortung für den Weg und die Sendung der Kirche.“ Mit diesen Worten ruft das Diözesankomitee des Bistums Münster – meiner Heimatdiözese – die Pfarrgemeinderäte und Verbände des Bistums auf, sich am Gesprächsprozess über die Sendung der Kirche zu beteiligen.
In diesem Geiste haben sich viele Menschen, die sich um ihre Kirche sorgen und um die Früchte des 2. Vatikanischen Konzils fürchten, schon vor Jahren aufgemacht, ihre Kirche zu erinnern, dem Evangelium glaubwürdig zu folgen, bei den Menschen zu sein, Not zu wenden, die frohe Botschaft verständlich zu verkündigen und vor allen Dingen zu leben. Doch die Bewahrer, die das Konzil in ihrem Sinn uminterpretieren und das Rad zurückdrehen wollen, werden immer zahlreicher. Und so schwindet bei vielen das Vertrauen in die Kirche immer mehr.

Magnus Lux
Schon vor 40 Jahren begann sich das Blatt zu wenden. Der Aufbruch der ersten Jahre nach dem 2. Vatikanischen Konzil begann zu versanden, ja, sich in Vorsicht zu kehren. Die aufblühende Befreiungstheologie wurde zerschlagen, der Aufbruch der Frauen, die feministische Theologie, sie wurde verunglimpft. Fortschrittliche Theologen wurden abgestraft, Theologinnen wurde das Nihil obstat – die Lehrerlaubnis – verweigert.

Annegret Laakmann
Erste Gruppen entstanden – nicht nur in Deutschland, die den Weg des Aggiornamento – der Öffnung der Kirche zur Welt – weiter beschreiten wollten. Als immer mehr Redeverbote erlassen, Treueide und Gehorsam eingefordert wurden, als immer mehr Rechte eingeschränkt wurden, machte das KirchenVolksBegehren auf die restriktiven Strukturen unserer Kirche aufmerksam. 1,8 Millionen Menschen, davon 1,5 Millionen aus der röm.-kath. Kirche unterschrieben allein in Deutschland das Begehren mit den fünf Forderungen: geschwisterliche Kirche, Gleichberechtigung für Frauen in allen kirchlichen Ämtern, Aufhebung des Pflichtzölibats, positive Bewertung der Sexualität, Frohbotschaft statt Drohbotschaft. Heute kommen noch dazu Ökumene und interreligiöser Dialog. Die KirchenVolksBewegung entstand und weist bis heute auf die Missstände hin. Aber weiter zog Rom mit immer mehr Verlautbarungen die Zügel an, Skandale wurden vertuscht. Die kirchlichen Gesetze sind nicht mehr für die Menschen da. Gemeinden müssen sich nach der priesterlichen Decke strecken. Das Ansehen der Kirche sinkt immer tiefer. Viele Gläubige spüren mehr und mehr ein Missverhältnis zwischen ihrer Lebenswelt , ihrem Glauben und der Kirche, der sie angehören. Sie fühlen sich allein gelassen mit ihren Problemen, erfahren Reglementierung und Einfordern von Gehorsam als Einschränkung ihres Lebens und Unfreiheit des Glaubens. Viele Menschen sehen heute die Misere ihrer Kirche bis hin zur Vertuschung von Straftaten und Missachtung von Menschenrechten, sie verlangen Reformen, sie wollen die Freiheit des Evangeliums als Gläubige auch in der Kirche spüren.

Magnus Lux
All die Forderungen des KirchenVolksBegehrens sind bis heute nicht erfüllt. Selbst vorsichtige Äußerungen von einigen unserer Bischöfe sind von Rom zurückgewiesen worden. Inzwischen sind sie nur noch Abteilungsleiter des Papstes, der sie nach Gutdünken einsetzt und ohne Begründung auch wieder absetzt wie den australischen Bischof Morris. Und ich dachte immer, die Bischöfe seien die Nachfolger der Apostel.
Was sollen wir also tun?
Die Kirchenleitung wird ihrer Verantwortung für die Menschen offenbar nicht gerecht. Bischof und Papst benehmen sich wie Herren über die Gemeinden, nicht wie ihre Diener, die sie nach dem Neuen Testament sind. Lassen wir uns nicht länger bevormunden, sondern nehmen wir als getaufte und gefirmte Christinen und Christen die Verantwortung für unsere Gemeinden in die eigenen Hände:
Wir können wie hier in St. Michael geschwisterlich miteinander umgehen. Wir kümmern uns gerade um die Menschen, die am Rande stehen, und rücken das Evangelium wieder in die Mitte unseres Lebens: Was ihr dem Geringsten meiner Brüder und Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan. Wir schließen niemanden aus und heißen alle willkommen. Wir halten eucharistische Gastfreundschaft mit unseren evangelischen Geschwistern, denn der Einladende ist Jesus Christus.
Männer und Frauen können den Platz einnehmen, der ihnen zusteht, sie übernehmen Verantwortung in der Gemeinde und für die Gemeinde. Braucht es dazu eine Weihe? „Ihr seid ein heiliges Volk, eine königliche Priesterschaft“ (1Petr 2,9). Das gemeinsame Priestertum aller Glaubenden geht dem Dienstpriestertum voraus, lehrt das 2. Vatikanische Konzil. Wir verkünden die Frohbotschaft und lassen uns von niemandem einschüchtern.

Annegret Laakmann
Schon die Propheten des Alten Bundes ließen sich von niemandem den Mund verbieten, denn sie wussten sich von Gott berufen. Der Prophet Amos schleudert den Frommen seiner Zeit ins Gesicht:
„Ich hasse eure Feste, ich verabscheue sie und kann eure Feiern nicht riechen. Weg mit dem Lärm deiner Lieder! Dein Harfenspiel will ich nicht hören, sondern das Recht ströme wie Wasser, die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach“ (Am 5,21.23f).

Magnus Lux
Seine Worte könnten heute gesprochen sein. Die Kirchenleitung feiert sich selber mit Pomp und Glanz und Gloria, doch sie tritt die Menschenrechte und die Menschenwürde mit Füßen: Sie spaltet die Gemeinschaft der Glaubenden in eine Zwei-Klassen-Gesellschaft von Klerikern und Laien, doch „Einer ist euer Meister, ihr alle aber seid Geschwister.“ (Mt 23,8)

Annegret Laakmann
Sie macht Frauen zu Christen zweiter Klasse, doch Paulus sagt: „Ihr seid alle ‚einer’ in Christus Jesus“ (Gal 3,28). Ihre geheime Gerichtsbarkeit ohne Anhörung der Betroffenen widerspricht der neutestamentlichen Gemeindeordnung (Mt 18,15-17).

Magnus Lux
Sie versucht in letzter Zeit, den Zölibat in den Rang eines Dogmas zu erheben, nur der Zölibatäre könne den Glauben vermitteln. Sie widerspricht damit nicht nur der christlichen Praxis, wie sie weit über tausend Jahre galt, sie widerspricht sich auch damit selbst, weiht sie doch ehemalige verheiratete evangelische Pfarrer und anglikanische Bischöfe zu Priestern. In der Psychologie nennt man so ein Verhalten schizophren.

Annegret Laakmann
Sie fördert den Geheimbund Opus Dei und verweigert den Dialog, was nicht nur den Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils widerspricht, sondern auch der Aufforderung im Neuen Testament, jedem und jeder Rede und Antwort zu stehen (1Petr 3,15).

Magnus Lux
Was also sollen wir tun? Befolgen wir keine Gesetze und Vorschriften, die nicht das Volk Gottes fördern und offensichtlich den Menschenrechten und der Würde und Gleichheit der Menschen widersprechen! Der Hohe Rat hält Petrus vor, dass er gegen das ausdrückliche Verbot verstoßen hat, im Namen Jesu zu lehren. Doch er antwortet frank und frei: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg 5,29).

Annegret Laakmann
Gottes Geist weht, wo er will – er wirkt auch heute. Er wirkt in jedem Menschen anders, je nach den Gaben und Talenten, die jeder Mensch, jeder Mann, jede Frau hat – je nach der eigenen Persönlichkeit und vielleicht auch je nach der eigenen und der gesamten Situation. Wir wollen den Geist wahrnehmen, uns ihm nicht verschließen.

Magnus Lux
Lasst uns also im Geist der Wahrheit frei reden, lasst uns die Propheten der neuen Kirche sein. Leben wir im jesuanischen Geist und fordern wir ein evangeliumgemäßes Leben für unsere Kirche ein, damit wir frei werden von Zwängen und Mutlosigkeit.[br Die Wahrheit wird euch frei machen – die Freiheit wird uns zu wahren Menschen machen.

Zuletzt geändert am 13­.06.2011