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Veröffentlicht am 03­.11.2000

3. November 2000 - Publik Forum

Die Geburtstagskinder sind munter

Zwei Geburtstage gilt es zu feiern. Zwei Mal wird in die Historie zurück und in die Zukunft nach vorn geschaut: Die Initiative Kirche von unten (IKvu) wird 20, die Kirchenvolksbewegung Wir sind Kirche (WsK) wird fünf Jahre alt.

VON THOMAS SEITERICH-KREUZKAMP

Sind die katholischen Kirchenreformer erfolglos? Die Frage drängt sich auf angesichts des Anti-Reformkurses in Rom. Beide, die IKvu und Wir sind Kirche, sind Kinder der »Epoche Wojtyla«. Als 1980 in West-Berlin der erste Katholikentag von unten zeitgleich zum offiziellen Deutschen Katholikentag von Basis-Katholiken organisiert wurde, war Papst Johannes Paul II. schon knapp zwei Jahre im Amt. Im Rückblick ist es überraschend, wie konsequent beide, die IKvu und der Papst aus Polen, den atomaren Hochrüstungswettlauf und deri Kapitalismus kritisieren. Doch damit enden die Gemeinsamkeiten: Die IKvu versammelt rund 40 Gruppen, Gemeinden und kirchliche Verbände, die damals wie heute für innerkirchliche und für gesellschaftliche Reformen eintreten. Im Falle der von Rom abgelehnten Zulassung von Mädchen zum Ministrantendienst am Altar mit Erfolg: Es gibt nur noch wenige katholische Pfarreien ohne Messdienerinnen. Etwa halbe-halbe ist das Verhältnis zwischen den IKvu-Mitgliedsgruppen, die mehr politisch-gesellschaftliche Schwerpunkte setzen, und denjenigen, die fest in der Kirche verankert - wie zum Beispiel die Arbeitsgemeinschaft der Priester- und Solidaritätsgruppen (AGP) - für eine menschenfreundliche Öffnung der Kirche wirken. Eines der größten und über die Jahre hinweg aktivsten IKvu-Mitglieder, die bundesweite Arbeitsgemeinschaft Homosexuelle und Kirche (HuK), ist selbstverständlich ökumenisch. Die HuK wird erst seit kurzem nicht mehr vom offiziellen Katholikentag ausgegrenzt.

Insgesamt betrachtet verkörpert die IKvu das grün-bunt-alternative Spektrum in der katholischen Kirche. Dabei wurde viel bewegt: Gemeindepartnerschaften zu befreiungstheologisch orientierten Basisgemeinden in Südamerika sind lebendig. Daneben steht die Solidaritätsarbeit für verfolgte Theologen. Zum Beispiel für Tissa Balasuriya aus Sri Lanka. Seine Exkommunikation nahm Rom 1998 zurück.

Längst gibt es in der Mehrzahl der insgesamt 27 katholischen Bistümer organisierte Gruppen von schwulen Priestern - dank IKvu-Hilfe. Viele der IKvu-Katholiken sind vor Ort in der Ökumene engagiert nach dem Leitwort der Kirche von unten: »Für eine gerechtere Kirche und eine gerechte Welt«.

Ein Schutzbündnis ist die IKvu nach wie vor. Bernd Göhrig, Geschäftsführer der IKvu weist in diesem Zusammenhang auf die Lesben und Kirche (LuK) sowie auf die HuK hin: »Mitglieder beider Gruppen können sich nicht outen, wenn sie kirchliche Angestellte sind.« Umso besser, dass die IKvu die Anliegen dieser Christinnen und Christen verlässlich vertritt. Ein ökumenischer Türöffner ist die IKvu vor allem seit Beginn der 90er Jahre. Regelmäßig - und gegen den Protest der katholischen Kirchenoberen - feiert sie öffentlich und ökumenisch die Eucharistie und das Abendmahl. Zuletzt beim Katholikentag in Hamburg. Pfarrer Carl-Peter Klusmann vom Vorstand der AGP bekräftigt bei der IKvu-Geburtstagsfeier am Gründungsort in Frankfurt am Main: »Die Kirche hat nur eine Chance, wenn sie ökumenisch handelt.« Die »Ökumene von unten« wird Schwerpunkt der IKvu-Arbeit für den Ökumenischen Kirchentag in Berlin 2003, der sich am 1. Dezember in Berlin konstituiert.

Fünf Jahre alt wird die Kirchenvolksbewegung Wir sind Kirche. Auf ihrer Pressekonferenz in Fulda zieht der Marler Priester Ferdinand Kerstiens Bilanz: »Die pastorale Situation in unserer deutschen Kirche wird immer schlimmer, bald hat nur noch jede zweite Pfarrei einen Geistlichen.« Siegbert Maier-Borst vom WsK-Sprecherteam erklärt: »Die Reformforderungen, unter denen wir angetreten sind, wurden von der Kirchenleitung nicht erfüllt. Die Lage spitzt sich zu.« Im Herbst 1995 hatten insgesamt 1,8 Millionen Bundesbürger, darunter 1.483.340 Katholiken, in fünf Punkten das Priesteramt für Frauen, die Aufhebung der zwangsweisen Ehelosigkeit für Geistliche, mehr Mitbestimmung des Kirchenvolkes, eine geschwisterliche Kirche sowie eine menschenfreundlichere Sexuallehre »Frohbotschaft statt Drohbotschaft« gefordert. Das päpstliche Rom hat reagiert: Beispielsweise mit dem Predigtverbot für Laien, mit dem Treueeid für Priester und Theologen, mit der Seligsprechung des menschenrechtsfeindlichen Papstes Pius IX., mit Kardinal Ratzingers Dokument, das den evangelischen Kirchen ausdrücklich die Anrede »Schwesterkirchen« abspricht.

Der Theologe Ferdinand Kerstiens deutet dieses römische Stakkato an Verbotsmaßnahmen und reaktionären Zeichensetzungen. Kerstiens spricht von »der Angst, die in Teilen des Vatikans umgeht, weil immer mehr Katholikinnen und Katholiken in aller Welt selber handeln, selber sprechen und sich nicht mehr alles von oben vordefinieren lassen«. Der römische Reformstau als eine Reaktion auf das Erstarken einer breiten Selbstbewusstseinsbewegung im Kirchenvolk, die Laien, Bischöfe und Geistliche in vielen Ländern erfasst? Dafür spricht in der Tat vieles. Kerstiens Botschaft ist deshalb klar: »Wer selbstbewusst wird, spürt Einschränkung viel schmerzhafter Doch die hektische römische Repression zeigt letzten Endes nur, wie stark die Reformbewegung bereits geworden ist.

Kein Anlass für Resignation also. In 40 Ländern rund um den Globus arbeitet Wir sind Kirche. Seit 1997 ist damit erstmals in der Geschichte der katholischen Weltkirche ein Reform-Bündnis im Entstehen, das von der Amtskirche und ihren Geldern unabhängig mittels Internet die Vernetzungsarbeit voranbringt. An die deutschen Bischöfe schreibt Wir sind Kirche in einem »Offenen Brief fünf Jahre nach dem Kirchenvolksbegehren«: "Statt Resignation und Kirchenfrust brauchen wir wieder eine offene, den Menschen zugewandte, erfreuliche und erfreuende Kirche.«

Thomas Seiterich-Kreuzkamp

Zuletzt geändert am 26­.06.2006