Aufgelesen
  Steter Skandal
Die Geheimdienstmethoden der Glaubenskongregation


Wer sich über die Vorgehensweise der Römischen Glaubenskongregation bei Lehrprüfungsverfahren informieren möchte, sollte ihre Ordnung für die Lehrüberprüfung vom 29.6.1997 konsultieren. Die Verfahrensordnung unterscheidet zwischen ordentlichen und dringlichen Lehrprüfungsverfahren. Die ordentlichen Verfahren werden mit einer ‚internen Phase’ eingeleitet. Das bedeutet, dass ein oder zwei voneinander unabhängige Berater der Glaubenskongregation die ‚angezeigten Schriften’ einer ersten Prüfung unterziehen. Gleichzeitig wird ein Verteidiger bestellt, ‚dessen Aufgabe es ist, die positiven Aspekte der Lehre und die Vorzüge des Autors aufzuzeigen und ein Urteil über dessen Einfluss abzugeben’. Zu diesem Zweck hat der Verteidiger das Recht auf Einsicht in alle den Fall betreffenden Akten.

Willkür
Das hört sich zunächst nicht schlecht an. Aber? Akteneinsicht hat nur der Verteidiger, nicht aber der inkriminierte Autor oder die beschuldigte Autorin. Diese ahnen ja gar nicht, dass eine Voruntersuchung gegen sie im Gang ist. Doch selbst wenn es zu einem eigentlichen Verfahren kommt, bleibt ihnen die Einsicht in ihre Akten verwehrt. Ein Verteidiger wird den Beschuldigten von der Glaubenskongregation selber zugeteilt. Nicht auszuschließen ist, dass es sich dabei um eine Person handelt, welche die Betroffenen aus irgendwelchen Gründen nicht sehr sympathisch findet. Es lässt sich nicht einmal nachprüfen, ob überhaupt ein Verteidiger bestimmt wurde. Und wer kontrolliert, ob der Verteidiger sich wirklich für den Fall interessiert, oder ob er bloß sein Honorar kassiert? Die zweite, ‚externe Phase’ beginnt damit, dass der der Häresie Verdächtigte über seinen Ortsbischof oder bei Ordensleuten über den Ordensoberen um Klärung der Beanstandungen gebeten wird. Wer die im Gutachten erwähnten Vorbehalte erstellt hat, bleibt geheim. Zwar hat der Beschuldigte jetzt das Recht, einen ‚Berater’ bei zu ziehen, der aber keine Akteneinsicht hat. Die Glaubenskongregation entscheidet willkürlich, ob sie dem Angeklagten ‚die Möglichkeit einer persönlichen Begegnung mit einem ihrer Vertreter einräumen möchte. Falls es zu einem Gespräch kommt, wird dessen Inhalt unter Ausschluss des Betroffenen von der versammelten Glaubenskongregation besprochen. Bestehen angeblich immer noch Abeichungen, hat der Autor die Möglichkeit, seine Position öffentlich zu widerrufen. Ob er dennoch z.B. wegen seiner ‚gefährlichen Lehren’ mit disziplinarischen Maßnahmen rechnen muss, bleibt offen. Weigert er sich zu widerrufen, werden Sanktionen verhängt: Publikationsverbot, Bußschweigen, Verlust der Lehrerlaubnis für sämtliche katholischen theologischen Fakultäten bis hin zur Suspendierung vom Priesteramt. Wenn eine Schrift angeblich ‚offensichtlich’ Irrtümer enthält, sieht die Verfahrensordnung die Möglichkeit eines ‚dringlichen Lehrüberprüfungs-Verfahrens’ vor. In diesem Fall informiert die Glaubenskongregation den zuständigen Ortsbischof oder den Ordensoberen, dass eine Kommission beauftragt wurde, die ‚irrigen und gefährlichen Ansichten’ aufzulisten. Das Ergebnis wird den Mitgliedern der Glaubenskongregation mitgeteilt. Kommt die Versammlung zum gleichen Ergebnis wie die Kommission, hat der Verfasser zwei Monate Zeit, um die Dinge richtig zu stellen. Anschließend trifft die Glaubenskongregation eine der Sachlage angemessene Entscheidung, die trotz einer Richtigstellung Sanktionen beinhalten kann. Honni soit, wer hier von Willkür spricht.

Das dringliche Lehrprüfungsverfahren wird angewandt, ‚wenn eine Schrift offensichtlich und sicher Irrtümer enthält und wenn durch deren Verbreitung ein schwerer Schaden für die Gläubigen entstehen könnte oder bereits entstanden ist’. Praktisch bedeutet das, dass das Urteil feststeht, noch bevor eine Befragung stattgefunden hat. Die ganze Angelegenheit gerät auch deshalb zur Farce, weil die Glaubenskongregation keine Gewaltentrennung kennt, sondern gleichzeitig als Klägerin und Richterin in Erscheinung tritt.

Anonymität und Ohnmacht
Auch bei ordentlichen Lehrprüfungsverfahren kennt die Verfahrensordnung keinerlei Gewaltentrennung, was auf einen Machverlust hinausliefe. Wie skandalös diese ganze Sache ist, sieht man erst, wenn man in Betracht zieht, was aus der Verfahrensordnung ausgeklammert bleibt. Die im Glaubensministerium Beschäftigten lesen theologische Literatur in der Regel nicht zum Zweck der Weiterbildung, sondern beschränken sich auf die ‚angezeigten’ – im Klartext: denunzierten – ‚Schriften’. Denunziert von wem? Vom Küster von Köpenick? Von einem missgünstigen Kollegen? Vom eigenen Bischof? Die Beschuldigten werden die Namen der Denunzianten und Zubläserinnen nie erfahren. Wer Anzeige erstattet, braucht nicht Farbe zu bekennen.

Auch die von der Glaubenskongregation herbeigezogenen ‚Experten’ agieren im Dunkeln. Denn die den Beschuldigten ausgehändigten Stellungnahmen tragen keine Unterschrift; kein Gutachter braucht seinen guten oder schlechten Namen aufs Spiel zu setzen. Alle können sie anonym agieren. Ob und wie qualifiziert sie sind, weiß allein der Himmel. Niemand kann sie wegen Befangenheit ablehnen. Anonymität auf der einen, Ohnmacht auf der anderen Seite – das ist das A und O der Glaubenskongregation!

Praktisch bleibt den Beschuldigten nur die Möglichkeit, zu widerrufen. Ein solcher Widerruf muss öffentlich erfolgen, etwa in Form eines Beitrags in einer theologischen Fachzeitschrift. Weil keine Appellationsinstanz vorgesehen ist, gibt es auch keinerlei Rekursmöglichkeit. De facto bedeutet das, dass die Glaubenskongregation sich für unfehlbar hält. Im Prinzip kann sie mit jeder und mit jedem kurzen Prozess machten. Und das macht sie auch. Weil sie die Macht dazu hat.

Übergeordnete Instanz überfällig
Die Aufgabe, welche die Glaubenskongregation sich selber (!) im Artikel 1 ihrer Ordnung für die Lehrüberprüfung zuschreibt, nämlich ‚die Glaubens- und Sittenlehre der ganzen katholischen Kirche zu fördern und zu schützen’, kommt in Wirklichkeit dem kirchlichen Lehramt zu. Das heißt, diese Aufgabe müsste zuallererst von den Bischöfen als den legitimen Lehramtsträgern wahrgenommen werden. Für Konflikte, die sich auf diözesaner Ebene nicht beilegen, wäre eine übergeordnete – warum nicht römische? – Instanz zu schaffen, die aber die Gewaltentrennung praktizieren und die Rechtssicherheit garantieren müsste. So hätten die Beschuldigten die Möglichkeit, an eine höhere Instanz zu appellieren. Solange diese Minimalforderungen nicht erfüllt sind und die gegenwärtigen Geheimdienstmethoden weiter praktiziert werden, darf man die Entscheidungen der Glaubenskongregation guten Gewissens ignorieren und sich mit den Betroffenen solidarisieren.

Der Autor, der Fundamentaltheologe Professor Josef Imbach, hat die von ihm beschriebenen Zustände selber erfahren. 2002 wurde ihm vom Vatikan wegen eines Buchs über die Auslegung der Wunder Jesu die Lehrerlaubnis entzogen. Seine Erfahrungen hat Imbach im Buch «Der Glaube an die Macht und die Macht des Glaubens. Woran die Kirche krankt», 3. Aufl., Patmos 2005, niedergeschrieben. Heute hat er einen Lehrauftrag für Katholische Theologie an der evangelischen Theologischen Fakultät der Universität Basel.