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„Die Zeichen der Zeit erkennen“

„Zeichen der Zeit“ – so heißt das Thema zum Weltgebetstag der Frauen 2006, dessen Gottesdienst von Frauen aus Südafrika gestaltet ist. Was für ein Thema! Es ruft eines der theologisch bedeutsamsten Schlagworte auf: Erkenne die Zeichen der Zeit! Damit ist nicht der heute so häufig zitierte Zeitgeist gemeint. Die „Zeichen der Zeit“ meinen eher das Gegenteil. Gemeint sind Zeichen, die anzeigen, wo Handeln am nötigsten ist, um Menschen zu retten, um Konflikte zu beenden, um Unheil abzuwenden ist. Auch das Zweite Vatikanische Konzil sieht in der Wahrnehmung der „Zeichen der Zeit“ aus der Perspektive des Evangeliums den Maßstab, an dem sich das Handeln der Kirche in der Welt von heute auszurichten habe. Die Zeichen der Zeit zu erkennen ist nicht nur eine moderne theologische Forderung. Schon biblische Texte mahnen, die Zeichen der Zeit zu erkennen. Nur so lässt sich jeweils die Gegenwart prophetisch deuten und Unrecht und Unheil beim Namen nennen. Doch so bedeutungsvoll das Thema klingt, so schwierig gestaltet sich die Umsetzung.

Wie kann ich die Zeichen der Zeit erkennen?
In einer Welt, die auf moderner Kommunikation aufbaut, lassen sich auf Knopfdruck von überall Informationen abrufen. Eine Flut von Nachrichten aus aller Welt macht es immer schwerer, zu erkennen, was davon wirklich Zeichen der Zeit sind. Gleichzeitig lassen sich Zusammenhänge immer schwerer durchschauen. Je komplexer die Welt wird, desto weniger hängen Ursache und Wirken unmittelbar zusammen. Wie also kann man aus dem Wust an Nachrichten erspüren, was die Zeichen der Zeit sind?

Wie kann ich die Zeichen der Zeit beurteilen?
Selbst wenn man entschieden hat, dass diese oder jene Situation als Zeichen der Zeit zu werten ist: Was bedeutet das dann? Wie muss man diese Situation oder jenes Ereignis interpretieren?

Wie kann ich angesichts der Zeichen der Zeit handeln?
Selbst wenn man sich entschieden hat zu handeln – wo findet man Richtlinien, die einem die Richtung angeben, auf die Zeichen der Zeit zu reagieren? Verflochtene und weltweite Strukturen der Wirtschaft erschweren es sogar Regierungen, negative Auswirkungen zu bekämpfen. Was können einzelne tun?

Nicht wenige Menschen resignieren angesichts dieser Komplexität der Probleme und haben den Eindruck, man könne ja doch nichts tun. Es ist eine verständliche Reaktion. Aber die Zeichen der Zeit zu erkennen und zu deuten ist die Voraussetzung, um von Gottes Handeln zu künden und sich danach im Leben auszurichten. Die biblischen Texte geben durchaus auch heute noch Kriterien an die Hand, mit denen man im Stimmengewirr der Zeiten Richtung und Ziel von christlichem Handeln aus der Perspektive Gottes erkennen kann.

PD Dr. Ulrike Bechmann
in „Visionen gegen den Tod“, Kath. Bibelwerk 2005