17.9.2010 - Fuldaer Zeitung

Algermissen: Schwule könnten Priester werden

FULDA Wie tief liegen die Ursachen des Missbrauchsskandals? Welchen Anteil daran hat die kirchliche Sexualmoral? Würde ein Bischof einen Schwulen zum Priester weihen? Bischof Heinz Josef Algermissen und Pallottinerpater Siegfried Modenbach nahmen Stellung zu diesen Fragen.

Schon bei der Bewertung der überarbeiteten Leitlinien der Bischofskonferenz zum Umgang mit sexuellem Missbrauch Minderjähriger zeigen sich Unterschiede in der Wahrnehmung durch den Fuldaer Oberhirten und den kritischen Pater: Algermissen beurteilt das überarbeitete Regelwerk als „notwendigen Schritt im Sinne einer Aktualisierung“. Modenbach bezeichnet es distanzierter: als „gute, aber letztlich nur administrative Maßnahme“. Das sei letztlich eine schwache Reaktion: Die Aufarbeitung brauche mehr Tiefe. Algermissen indes sieht die Haltung der Bischöfe und seines Bistums zu Unrecht kritisiert, denn die inhaltliche Aufarbeitung werde nicht ausgeklammert. Parallel habe das Bistum Fulda die neuen Leitlinien durch einen konkreten Richtlinienkatalog ergänzt, in dem klar geregelt werde, was künftig beispielsweise in der Jugendarbeit dezidiert untersagt und sogar mit Strafen von der Abmahnung bis zur Suspendierung belegt sei.

Prinzipiell stimmt Modenbach dem zu, doch er drängt, Themen wie die Sexualmoral der Kirche und die Frage nach anderen priesterlichen Lebensformen parallel zum Zölibat einzubeziehen, also bei der Prävention sexueller Gewalt auch nach strukturellen Ursachen zu suchen. Beide Theologen sind sich einig, dass es falsch wäre, ursächliche Zusammenhänge zwischen Missbrauch und Zölibat herzustellen. Algermissen diagnostiziert für die Kirche eine „Stau-Situation“: Fragen zu Sexualmoral über Zölibat bis hin zum Umgang mit geschiedenen Wiederverheirateten, die schon lange zu diskutieren reif seien, kämen nun mit der Missbrauchsdebatte geradezu eruptiv zur Sprache.

Man müsse fragen, ob die Kirche immer auf Augenhöhe mit den Menschen sei, gibt der Bischof zu. Mit Blick auf die Sexualmoral gesteht der Bischof ein, dass möglicherweise moralische Normen gälten, „die in ihrem hohen Anspruch nicht leicht zu vermitteln sind“. Und er ergänzt: „Diskussionen und Fragen dürfen nicht durch Verbote abgebrochen werden.“ Gerade bei der Sexualmoral wolle die Kirche aber ein personales Angebot machen, das gegen die allgemeine Sexualisierung und Libertinage stehe. „Das scheint im Alltag oft nicht zu gelingen: Da laden die Schulen eher Pro Familia als die SkF-Beratung zur Sexualerziehung ein.“ Für Modenbach ist dies eine Bestätigung, dass eine inhaltliche Diskussion unausweichlich ist: „Die Kirche schafft es seit Jahrzehnten nicht, das faktische Leben der Leute in den Blick zu nehmen“, beklagt er. Im Gespräch mit den Menschen müsse aber geprüft werden, was vor Gott und dem Evangelium zu verantworten sei. Er, so Modenbach, vermisse in der Kirche auch die öffentliche Debatte, um einen Meinungsbildungsprozess in Gang zu setzen. Dies sei auch eine Aufgabe der Bischöfe. Algermissen wirbt dafür, solche Themen „zunächst im internen Bereich“ zu erörtern. „Wir haben in der Bischofskonferenz noch keine einheitliche Meinungsbildung, in deren Folge wir nach Rom mitteilen könnten: ,Heiliger Vater, es gibt zwischen der Lehre der Kirche und der Praxis der Menschen in Deutschland Unterschiede!‘“.

Wie steht es mit dem Nachwuchs fürs Priesteramt?

Mit Blick auf den Priestermangel macht Algermissen sich stark dafür zu prüfen, „viri probati“ zum Priesteramt zuzulassen. Bislang können „bewährte Männer“, so die Übersetzung, zum Diakon geweiht werden. Der Vorschlag, dies auf das Priesteramt auszuweiten, wurde bereits 1975 von den deutschen Bischöfen gemacht, „aber dann in Rom nicht weiter bedacht“, bedauert Algermissen. Modenbach geht weiter und verweist darauf, dass eine Abschaffung der Pflicht zur Ehelosigkeit einerseits die Zahl der Priester steigern werde, aber auch zunehmend Menschen anziehen werde, die sich bewusst mit der Frage ihrer Sexualität auseinandergesetzt hätten. Das senke auch den Anteil derer, „die sich aus mitunter fragwürdigen Gründen für den zölibatären Weg entschieden“ hätten. Nach der Haltung zu homosexuellen Priestern gefragt, wiederholt Algermissen zunächst seine Aussage aus einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vom Juni dieses Jahres: „Ich würde keinen Studenten weihen, der nicht auch das Zeug hat, ein richtiger Familienvater zu werden.“ Homosexuell veranlagte Menschen seien wie der Katechismus der katholischen Kirche formuliere, „mit Achtung und Takt zu behandeln“, doch sei praktizierte Homosexualität dem göttlichen Gesetz nicht entsprechend. Wenn – der Fall sei bislang in seinem Bistum nicht eingetreten – ein Priesteramtskandidat sich jedoch als homosexuell oute und zugleich glaubwürdig verspreche, seine sexuelle Neigung nicht zu praktizieren, „dann hätte ich keinen Grund, ihn nicht zur Weihe zuzulassen“, so der Bischof: „Ein anderes Versprechen bekomme ich auch von einem heterosexuell veranlagten Kandidaten nicht.“ Allerdings sei für Homosexuelle das Halten des Keuschheitsversprechens in einer Kirche schwieriger, in der sie im Bereich des Priesteramts nurmehr auf Männer träfen. Auch die Gemeinden reagierten „wenn es schief geht“ anders als bei Priestern, die wegen einer Frau aus dem Amt scheiden wollten.

Für Modenbach geht es nicht nur um den Umgang mit Einzelfällen: „Eine Neubewertung von Homosexualität in der Kirche ist notwendig“, sagt er, – nicht nur, weil nach manchen Schätzungen der Anteil der schwulen Priester in der katholischen Kirche 20 Prozent betrage. „Sexualität hat nicht nur den Aspekt der Fruchtbarkeit, sondern auch den der Identität, der Lust und der Beziehung – für hetero- wie homosexuelle Paare.

Kirche müsse die Sexualität „aus der Dunkelkammer herausholen“, betont der Pallottiner. Nach den Einflussmöglichkeiten einer Ortskirche und eines Bischofs im Verhältnis zu Rom gefragt, beklagt Algermissen, „dass die Kirchenleitung in Rom in den letzten Jahren etwas zu viel zentralisiert hat“. Die Bischöfe müssten ihre schweren Sorgen dort deutlicher mitteilen können; dafür brauche man unmittelbare Zugänge. Die Stimmen aus Deutschland fänden im Chor der Weltkirche nicht das Gehör, das er sich wünsche. Dies stehe in deutlichem Kontrast dazu, dass viele weltkirchliche Projekte der Hilfswerke wie Misereor, Adveniat, Missio oder Renovabis hauptsächlich aus deutschen Mitteln finanziert würden. Angesichts der Veränderungen, die es in Welt und Kirche seit dem Zweiten Vaticanum (1962 – 1965) gegeben hat, sieht Algermissen die Zeit durchaus reif für den Plan eines neuen Konzils. Auch wenn das Zweite Vaticanum noch nicht ganz aufgearbeitet sei, solle in absehbarer Zeit ein solches Projekt bedacht werden. Modenbach tritt hier eher auf die Bremse und mahnt an, zunächst die Chancen dessen, was 1965 beschlossen wurde, konsequent umzusetzen. Da gebe es etwa die Fragen nach der Position der Frauen und nach der Aufgabenverteilung zwischen Priestern und Laien. Insgesamt gehe es aber auch um Macht, die sich darin zeige, wie Rom mit kritischen Tönen aus dem Kreis der Bischöfe umgehe. Man müsse sich fragen: „Kann auf Ebene der Bischöfe offen über die Schwierigkeiten gesprochen werden, ohne dass man Nachteile in Kauf nehmen muss?“

Von unserem Redaktionsmitglied Hartmut Zimmermann


ZUR PERSON
Heinz Josef Algermissen
wurde 1943 in Hermeskeil geboren. Er studierte Philosophie und Theologie in Freiburg und Paderborn. In Paderborn wurde er von Kardinal Lorenz Jaeger 1969 zum Priester geweiht. Nach elf Jahren als Vikar in Bielefeld und Meschede wurde er 1980 Pfarrer in Bielefeld. Von 1974 bis 1979 war er auch Studentenseelsorger an der Gesamthochschule Paderborn. Die Bischofsweihe empfing er 1996 durch Erzbischof Dr. Johannes Joachim Degenhardt. 2001 wurde Algermissen von Papst Johannes Paul II. zum Bischof von Fulda ernannt. Seit 2002 ist er zudem Präsident von Pax Christi./ zi

ZUR PERSON
Pater Siegfried Modenbach
wurde 1962 geboren. Er ist in Steinbach bei Hünfeld aufgewachsen. In Fulda und Rom studierte er katholische Theologie, in Fulda zudem Sozialpädagogik. 1990 begann sein Noviziat im Pallottinerorden, von 1992 bis 2002 leitete er den Jugendhof Olpe, eine Jugendbildungsstätte des Pallottinerordens. 1995 empfing Modenbach von Erzbischof Johannes Dyba die Priesterweihe. 2002 bis 2007 war er Regens in Vallendar, seit 1. Oktober 2007 Leiter des Katholischen Forums in Dortmund. / zi www.katholisches-forum-dortmund.de


http://www.fuldaerzeitung.de/newsroom/regional/Fulda-Region-Algermissen-Schwule-koennten-Priester-werden;art25,344905

Zuletzt geändert am 19­.09.2010